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Vorwort aus dem "Gespensterbuch"

erschienen in München 1913 bei Georg Müller

Armselig der Dichter, dessen Gebiet nicht größer ist als die sichtbare Natur.

Wirklich immer wieder müssen Gastwirte, Felder, Kühe und Kommerzienratstöchter geschildert werden? - Als ob ´s noch nicht genug Gastwirte, Felder, Kühe und Kommerzienratstöchter gäbe!

Überall hört man das Wort: "Kampf gegen die Schundliteratur." Gibt ´s ein besseres Mittel gegen die Schundliteratur als Bücher unters Volk bringen, die in künstlerischer Form das Gebiet behandeln, das von jeher das Volk anzog, anzieht und immer wieder anziehen wird: das Gebiet des Fantastischen! Wenn das heimliche Ideal der Menge nicht das Reich der Fantasie und des Romantischen ist, warum heißen dann unsere Schiffe "Klabautermann", "Korsar", "Pirat" oder "Störtebecker"? Ich habe mein Lebtag nicht gehört, dass eins "Bankdirektor" oder "Oberlandesgerichtsrat" geheißen hätte.

"Es gibt keine Gespenster", höre ich da einwenden. - Weißt du das wirklich so ganz genau, vorgeneigter Leser? - Warte nur, wenn du Glück hats - oder Unglück, wie man ´s nennen will, dann kommt auch für diech der Tag, wo ein Gespenst zu die den Weg findet - ein wirkliches, sichtbares, wägbares Gespenst, das Eindrücke hinterlässt, die du zeitlebens nicht mehr vergisst. Dann wird es dir für immer die Rede verschlagen, wenn du erzählst, was du gesehen und gegriffen hast - nd du merkst, wie dein Gegenüber mühsam das Lachen verbeißt. Dann wirst du ameigenen Leibe verspüren, was es heißt: ein Einsamer zu sein.

Es ist kein liebenswürdiges Reich, das des Gespenstischen - es hat so gar nichts Sentimentales an sich. Gerade darum erscheint es mir unerschöpfliche, künstlerische Qualitäten zu bergen. Diese Wesen herauszuholen, dass sie ihren feinen schimmernden Staub, das Unfassbare, Eigentümliche, das ihnen anhaftet, nicht verlieren, bedingt beim Dichter vor allem die Fähigkeit, bei geschlossenen Augen mit unfehlbarer Sicherheit schauen zu können. Oft haben da ganz Große schauderhaft daneben gehauen. - Ein winziges Fehlgreifen und, was sonst ein Kunstwerk hätte werden können, saust rettungslos hinab in den Abgrund des Schundes und der Hintertreppenromane. - Hier Shakespeares "Macbeth", dort - sagen wir einmal: "Der Müller und sein Kind."

Soll ´s nur einmal einer probieren, "unheimliche" Geschichten schreiben. Eine Seit lang geht ´s herrlich, dann wird das "Gespenst" immer grobdrähtiger und verwandelt sich langsam aber sicher in ein Fetzen Paketpaier. Und nicht einmal der "Rahmen will zu dem Ganzen passen. - Die sogenannte "natürliche" Erklärung wird unausbleiblich; ein Albdrücken muss die Ursache des ganzen Erlebnisses abgeben.

Ja, ja, - so bloß vorlügen lässt sich eine Gespenstergeschichte nicht. - Da muss man zumindest erst einmal selber dran glauben. E. T. A. Hoffmann zum Beispiel fürchtete sich vor den Gestalten, die er geschaffen hatte, derart, dass er es nachts in seinem Zimmer zuweilen vor Grauen kaum aushalten konnte. - - -

Ich wünsche dem Buch, das Felix Schloemp so farbig zusammengestellt hat: es möge den Eingang finden bei allen denen, die noch etwas übrig haben für fantastische Knst. Es soll ihm das Motto voranstehen, das Bulwer seinem "Zanoni" gab:

Lass dir raten:
Hab´die Sonne nicht zu lieb,
Und nicht die Sterne!
Komm! Folge mir ins dunkle Reich hinab.

Starnberg, im September 1912

Gustav Meyrink