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Sonnenspuk

Mein Freund, der Maler Alfred Kubin, behauptet immer, wenn wir bei einem Glase Schilcher beisammensitzen (was leider nur mehr selten geschieht), es gebe den Teufel; wieso könne er ihn denn sonst zeichnen oder gar malen?! Ich bestreite das jedesmal, weise darauf hin, der Teufel sei eine Ausgeburt des odium theologicum, und ihn als Bock abbilden, hieße nichts anderes, als in dasselbe Horn mit denen stoßen, die sich’s nicht nehmen lassen wollen, der berüchtigte Herr Leo Taxil habe mit der Miß Vaugham zusammen den Schwanz, den er vor 35 Jahren dem Papst Leo verkaufte, dem leibhaftigen Teufel und nicht einem x-beliebigen wehrlosen Bettvorleger abgeschnitten. – »Oder glauben Sie vielleicht, es sei der wirkliche Schwanz des Teufels gewesen?« schließe ich stets meine Rede. – »Natürlich war er’s«, sagt dann Kubin und zückt gewohnheitsmäßig sein Skizzenbuch, »weisen Sie mir nach, daß ich jemals den Teufel mit Schwanz gezeichnet hätte!« Am liebsten führen wir uns bei solchen Zwistigkeiten in die Haare; der Grund, weshalb wir es unterlassen, ist lediglich der, daß Kubin nur wenige besitzt und ich keine

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Innerlich stimme ich seiner Überzeugung, der Teufel existiere, selbstverständlich bei, äußerlich darf ich es nicht tun; der gute Ton verlangt, daß Kollegen in der Kunst uneins sind, und zudem befürchte ich, der Bibelsatz: »So zwei von euch einträchtig beisammen sind, bin ich mitten unter ihnen« könnte auch verhängnisvollerweise im diabolischen umgekehrten Sinne Geltung erlangen. – Wie berechtigt eine solche Angst ist, beweist folgendes Geschehnis, das Kubin und mir vor einiger Zeit zustieß. –

Ich weiß, Kubin gibt nicht ums Verrecken zu, es habe sich in Wirklichkeit abgespielt; – einzig und allein der Schilcher sei schuld! Nun, in diesem Falle setzt er eben dieselbe Maske auf wie ich sonst. Ich könnte ihn mühelos mit den Worten widerlegen: »Wenn’s nicht Wirklichkeit gewesen wäre, lieber Kubin, wieso hätten Sie dann die Szenen in Bildern festhalten können? Heh?«

Jetzt zu unserem Erlebnis! – Ich muß vorausschicken: Vor vielen, vielen Jahren hatte ich einen Freund, der sich Doktor Sacrobosco Haselmayer nannte – vielleicht »Sacrobosco« deshalb, weil ein Mondkrater ebenso heißt. Ich habe schon oft über ihn geschrieben – offen gestanden, weil ich ihn loswerden wollte. Das mag sonderbar klingen, wird aber sofort verständlich, wenn man weiß, daß ich dabei unter Zwang handle. Bisweilen beschleicht mich nämlich der Zweifel, ob er jemals gelebt hat. Hat er nicht gelebt, dann kann ich ihn nur loswerden, wenn ich ihn schildere. So rät mir wenigstens ein Arzt. Dann wieder sage ich mir: gelebt muß er haben; wie hätte er sonst vor 15 Jahren in Prag sterben und begraben werden können! Und dann: Wenn er nicht gelebt hätte, wieso hätte ich dann so oft von ihm berichten können? – Er trug mit Vorliebe einen glanzlosen, moosgrünen Tuchzylinderhut, ein holländisches Sammetwams, Schnallenschuhe und enganliegende schwarze Seidenkniehosen um die beängstigend dünnen Beine. Er war ratzekahl und sein Schädel anscheinend gallertartig weich; wenigstens hinterließ, sooft er den Hut abnahm, die Krempe immer eine Furche in seiner Haut. Bisweilen verschwand er für längere Zeit, und währenddessen vergaßen ihn die Leute derart, daß sie leugneten, ihn jemals zu Gesicht bekommen zu haben, so daß ich oft vermutete, alles, was mit ihm zusammenhänge, dürfte ins Reich der magischen Erscheinungen zu verweisen sein, die im Hirn der Menge so überaus schwer dauernd Wurzel fassen. Ein Psychoanalytiker, den ich zu Rate zog, meinte, ich hätte einen – Mondkomplex – Mondkomplex!!! Seit wann trägt der Mond moosgrüne Zylinderhüte? Vor 15 Jahren starb, wie gesagt, Dr. Haselmayer und wurde zur ewigen Ruhe bestattet. So behauptete man allgemein. Ich glaube keinen Ton! Es muß ein infamer Schwindel gewesen sein; wie könnte er mir sonst an jedem Neujahrstag eine Glückwunschkarte ins Haus schicken?! – »Sie schreiben eben an Ihre eigene Adresse diese Karten, ohne daß es Ihnen klar bewußt wird«, behauptet der Psychoanalytiker, »und gratulieren sich selbst darin.«

Ich bin doch deutscher Schriftsteller! Ich möchte gern wissen, wozu ich mir gratulieren sollte! Nein, das mit dem Tode Dr. Haselmayers ist ein Schwindel. Soll ich mir vielleicht zu dem Geschehnis gratulieren, das, wie erwähnt, Kubin und mir vor geraumer Zeit widerfuhr?

Kubin und ich saßen in glühender Mittagssonne in einem öden Bauernhof und tranken Schilcher. Allerlei Getier hockte, kroch und stand wie halb im Schlaf umher: ein Gaul, eine Katze, Gänse, ein Truthahn, ein Kettenhund. – – Am Abend vorher hatten wir in der kleinen Nachbarstadt der Vorstellung eines Wanderzirkus beigewohnt. – Die fahle Halskrause des nickenden Truthahns erinnerte mich mit einem Mal an den Clown von gestern, wie er mit spindeldürren Beinen auf dem Trapez gestanden hatte. Merkwürdig, wieso mir jetzt erst zu Bewußtsein kam, daß sein Gesicht genau das des Dr. Sacrobosco Haselmayer gewesen war! Ich erschrak; durchgrübelte mein Gedächtnis nach dem Bild des zweiten Clowns, der darunter – affengleich, pudelartig –, an der Stange des fliegenden Recks schwebend, mich gestern gespenstisch schalkhaft so lange angeglotzt hatte. Plötzlich fuhr ich zusammen, wie nur jemand zusammenfahren kann, der – eine Sekunde lang aufs tiefste eingeschlafen gewesen – mit einem Ruck erwacht.

»Ich muß von irgendwo hoch oben herabgefallen sein!« sagte ich mir. »Vielleicht von der Sonne? Oder vom Trapez? Nein, nein! vom Trapez bestimmt nicht! Auf dem Trapez hat ja der zweite Clown gehockt. Der mit dem Gesicht … mit dem Gesicht … dem Gesicht …« – ich erstarrte förmlich: das Gesicht des zweiten Clowns, das mir nicht hatte einfallen wollen, war doch das Gesicht des ersten Clowns und somit das Dr. Haselmayers in Person. Merkwürdig nur, daß ich mich so lange bemüht hatte, es mir zu vergegenwärtigen, wo offenbar Dr. Haselmayer, wie ich jetzt gewahr wurde, schon eine halbe Stunde an unserem Tisch saß!! – »Aha, er hat sich als Dritter zu uns setzen dürfen, weil ich vorhin – ganz gegen meine sonstige Gewohnheit – Kubin zustimmte, als er wieder einmal behauptete, es gäbe den Teufel« – erriet ich.

»Sie pflichten mir also bei, Herr Dr. Haselmayer«, hörte ich ganz deutlich Kubin sagen, und erkannte sofort, daß er in einem Gespräch fortfuhr, dessen Anfang ich überhört haben mußte – »wenn ich behaupte – was der blöde Meyrink meistens bestreitet –, daß der Teufel nicht nur als unsichtbares Subjekt existiert und sich als solches der Maler als Marionetten bedient, um sich gelegentlich von ihnen porträtieren zu lassen, sondern daß er bisweilen auch als Objekt herumläuft und – sagen wir mal: in stillem Waldeshain Blümlein pflückt?«

Was Dr. Haselmayer darauf erwiderte, weiß ich nicht mehr; zu mir gewendet sagte er mit holder Mädchenstimme: »Wenn jemand den Teufel sieht, so wie z. B. Sie mich jetzt sehen und einst Luther den Teufel gesehen hat – wissen Sie, woher das kommt? Es kommt vom Beten! Alle Leute beten zu einem Gott, ohne sich vorher einen richtigen Begriff von ihm gemacht zu haben. Sie erniedrigen ihn dadurch zu einem Objekt, wo er doch nur ewiges Subjekt sein kann. Kein Wunder, daß dann der Teufel« – Dr. Haselmayer lächelte glückselig – »die günstige Gelegenheit benützt, sich aus solchen verkehrten Gebeten ein Gewand als Bock zurechtzuweben und Blümlein zu pflücken – – oder Menschlein. Haben Sie sein Pflücken noch nie bemerkt in der Welt der Menschen? Ist’s Ihnen noch nicht aufgefallen, daß gerade die emsigsten Beter das gräßlichste Ende nehmen? Muß ich Sie auf das Beispiel des Zaren aufmerksam machen? Auf die Millionen der mohammedanischen Babisten?« »Aber ich bete doch nie!« fiel ich ein, »und trotzdem habe ich bisweilen das besondere Vergnügen …« ich blickte Dr. Haselmayer spöttisch an.

»Wohl Ihnen, wenn Sie es absichtlich unterlassen«, unterbrach Dr. Haselmayer geringschätzig. »Die große Menge Menschen, die heute glauben, sie beteten nicht, haben es sich nur äußerlich abgewöhnt aus Schlamperei – innerlich ›beten‹ sie trotzdem; sie wissen es nur nicht! Vielleicht beten sie im Tiefschlaf oder – wenn sie sonstwie bewußtlos werden, z. B. durch den Einfluß zu heißer Sonnenstrahlen. Die gewisse Seelenzerspaltung, die durch das Geborenwerden des Menschen entsteht und die es dem Teufel ermöglicht, sich zu betätigen, und die dem Menschen den freien Willen raubt – diese Wunde läßt sich mit Kamillentee nicht heilen. Wenn’s nicht so wäre, wie ich sage, warum rufen denn die Menschen, so oft sie erschrecken, immer ›unwillkürlich‹ aus: ›um Gottes willen‹?«

»Der Buddha hat das bestimmt nie getan!« wendete ich ein.

»Der ... der ... bleiben Sie mir mit diesem Burschen vom Hals!« rief Dr. Haselmayer verärgert.

»Übrigens: Darf ich meinen lieben Gästen noch eine Flasche Schilcher bringen?« – Er ging ins Haus. Ich nahm mir fest vor, niemals mehr in meinem Leben »Um Gottes willen« zu sagen, und Kubin stimmte mir zu.

»Merkwürdige Namen haben die Bauern hier auf dem Lande!« sagte Kubin unvermittelt nach einer Weile. »Sacrobosco Haselmayer! Sacrobosco! Billiger tut er’s nicht!« Er deutete mit dem Zeigefinger über meine Schulter. Ich wurde ganz verwirrt. Dr. Haselmayer war doch kein Bauer! Was sollte das plötzlich heißen? Ich drehte mich um: eigentümlich, dort stand auf einem Schild: »Sacrobosco Haselmayer, Ökonom und Herbergsvater.«

Wir dösten wohl eine halbe Stunde in der Mittagsglut vor uns hin. Plötzlich ein furchtbarer Lärm! Das Pferd bäumte sich entsetzt auf, röhrend wie ein Hirsch; die Gänse schrien schrill und schlugen mit den Flügeln; der Kettenhund heulte und bellte und riß fast seine Hütte um; der Hals des Truthahns schwoll blaurot an; mit gesträubtem Haar fauchte die Katze von der Mauer. Wir fuhren hoch aus dem Halbschlaf und riefen gleichzeitig: »Um Gottes willen!«

»Die Brillenschlange hat die Tiere so entsetzt«, sagte Kubin und deutete auf etwas Schwarzes mitten im Hof. »Was für eine Brillenschlange? Brillenschlangen in Oberösterreich? Das fehlte gerade noch! Lieber Kubin, es ist doch bloß eine Peitschenschnur!«

Kubin brummte etwas in den abrasierten Bart, was so klang wie: »Sie sind ein unverbesserlicher Schöps.« — Später unterhielten wir uns noch lange über die seltsamen Reden, die Dr. Haselmayer geführt hatte. Nur, daß der betreffende Herr »Haselmayer« geheißen hätte, bestritt Kubin; es sei ein Fremder gewesen, meinte er. Alles andere stimmte mit meinen Beobachtungen überein.

Um so mehr ärgere ich mich, daß er heute alles in Abrede stellt – aber auch alles und bis ins kleinste! Sogar, daß wir tags zuvor einen Zirkus besucht hätten! – – Aus der Haut möchte man fahren!