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Magie und Hasard

Was Poker ist, wissen viele Leute, was Magie ist, wissen nur wenige.

Poker ist ein verruchtes Kartenspiel, bei dem man mit Bestimmtheit all sein Geld verliert, wenn man es gewohnheitsmäßig betreibt - und das tut man gar bald, wenn man einmal damit angefangen hat. Jeder Teilnehmer bekommt fünf Karten, und je nachdem sie hoch oder niedrig sind, setzt er viel oder gar kein Geld darauf. Der höchste Trumpf, den er bekommen kann, heißt royal flush und besteht aus einer ununterbrochenen Serie von Karten ein und derselben Farbe. Das höchste royal flush endet mit einem As. Als höchste Farbe gilt coeur. Ein solches royal flush in die Hand zu bekommen, gehört zu den größten Seltenheiten und geschieht unter hunderttausend Spielen vielleicht einmal. Daß zwei Spieler gleichzeitig ein royal flush kriegen, soll seit dem Sündenfall im Paradies, wie die Berufsspieler eidlich aussagen, nur dreimal passiert sein. Einmal war ich selbst dabei; für die beiden anderen Male kann ich mich nicht verbürgen. Soweit Poker.

Was das Thema Magie betrifft, so habe ich keine Lust, das Publikum heute ausführlich darüber aufzuklären. Möglich, daß ich es später einmal tun werde, wenn ich gut aufgelegt bin, was Gott im Interesse meiner Leser gnädigst verhüten möge.

Magie praktisch zu erlernen, ist die Sache jedes einzelnen. Erfolge müssen mit teurem Schulgeld bezahlt werden. Und das ist erfreulich.

Mir wenigstens kommt es erfreulich vor, denn ich kann die Sorte Menschen nicht leiden, die immer kaltherzig im Leben stehen, nur darauf bedacht, sich vor Schaden zu bewahren, indem sie lauernd beobachten, wie andere Schaden nehmen. Freilich, "klug" werden sie durch ihr System, aber es hilft ihnen nicht viel:

Der Schnitter Tod erntet auch sie, wie alle, in die Tenne - sie werden nicht einmal gedroschen, denn sie haben das Verdienst, hohle Ähren geblieben zu sein.

Ich meinesteils freue mich schon, in der Tenne gedroschen zu werden, denn ich darf mir stolz auf die Brust schlagen und ausrufen: ich habe meine Pflicht erfüllt: keine Dummheit gibt es, die im Leben zu begehen ich jemals versäumt hätte.

In meinem zweiundzwanzigsten Jahr war ich leidenschaftlicher Pokerspieler. Natürlich erschien mir Gewinn durchaus wünschenswert, aber sehr bald interessierte mich der seltsam wechselnde sogenannte Zufall mindestens ebenso sehr. Wer Hasardspieler ist, wird vielleicht bemerkt haben, daß die gute oder schlechte Laune beim Fall der Karten fast immer eine merkwürdige Rolle spielt. Daher auch gewisse abergläubische Maßnahmen, die solche Menschen treffen, bevor sie sich an den Spieltisch setzen. Der eine wischt seinen Sessel vorsichtig ab, ehe er Platz nimmt, um nicht noch von dem "Pech" seines Vorgängers angesteckt zu werden, der andere zerfetzt heimlich eine Banknote, ehe das Spiel beginnt; ich habe sogar Leute kennengelernt, die sich einen Tag vorher nicht rasierten, und andere, die sich einbildeten, eine Rizinusölkur bringe Glück im Hasard.

Tatsache ist, daß ein ungarischer Aristokrat und Rennstallbesitzer, den ich persönlich kannte, die Bank in Monte Carlo Jahre hindurch sprengte (und von dem Gewinn ein luxuriöses Leben führen konnte), indem er immer, wenn er nach Monaco reiste, vierzehn Tage vorher eine strenge Fastenkur unternahm und sich dabei nur mit Rizinusöl "ernährte". Sein unerhörtes Glück im Roulette war bald im Wiener Jockeiklub sprichwörtlich geworden, dennoch hat, soviel ich weiß, niemand das Wagnis unternommen, ihm auf dem Pfade seiner merkwürdigen Aszese nachzufolgen. "Zufall" und nicht Resultat der Rizinuskur, so werden sich seine Freunde wohl gesagt haben, vermute ich.

Ich selber neigte natürlich auch zu dieser Ansicht, aber innerlich konnte ich schon damals einen leisen Verdacht nicht loswerden:

Zufall gibt es überhaupt nicht; was geschieht, geschieht gesetzmäßig, nur sehen wir die feinen Fäden nicht, die aus Resultaten zu unsichtbaren Ursachen zurückführen. Ich war schon nahe daran, dem ungarischen Grafen in die Purgierfußstapfen zu treten, da spielte mir eines Tages - offenbar von Mitleid mit mir wegen meiner Seelenqualen ergriffen - der "Zufall" ein kurioses Buch in die Hände, es war englisch, in Kalkutta gedruckt und von einem Inder herausgegeben. Der Inhalt war ungemein interessant und behandelte ein Gebiet, das mit Magie mehr zu tun hat als wohl irgendeine Schrift, die mir je zu Gesicht kam. Meines Erachtens könnte es eine Fundgrube für Forschung in Metaphysik sowohl wie in einem Fach, das heute bei uns noch gar nicht existiert und das ich Metaphysiologie nennen möchte, werden.

Doch das nur nebenbei, denn ich will doch von Poker reden! In dem Buche stand unter anderem, daß es möglich sei, Herr über den Zufall zu werden, wenn es gelingt, die eigene Körperkonstitution in gewisser Weise zu verändern. Dazu den Hebel anzusetzen, müsse man lernen, vor allem Macht über den Blutumlauf, der bekanntlich bei den Ungeschulten autonom vor sich geht, zu gewinnen. Ein allerdings recht unzulängliches Mittel bestehe darin, sich das linke Bein oberhalb des Knies fest mit einer Schnur abzubinden, bis dieses Glied einzuschlafen beginnt. Wer den Versuch mache, könne gewiß sein, beispielsweise im Hasardspiel von unglaublichem Glück begünstigt zu werden. "Wird sofort probiert!" rief ich und eilte in meinen Spielklub, alle Gedanken an Rizinusöl für immer aus meinem Kopfe schlagend. Man sieht daraus, daß selbst die ungestüme Jugend nicht frei ist von dem verwerflichen Laster des Greisenalters, von zwei Wegen den bequemeren zu wählen.

Oh, hätte ich doch damals den beschwerlichen Pfad des Rizinusöls beschritten!

Viel Geld wäre mir erübrigt geblieben, das ich dann in Kriegsanleihe hätte anlegen dürfen! Zu spät! Versunkenes Glück bringt keiner mehr zurück. Die Pokerkarten wurden gebracht und glänzten tückisch im Lampenschein. Vier Spieler. Mir gegenüber der Husarenoberleutnant H.

Heimlich wand ich mein Taschentuch um das linke Bein, dicht oberhalb des Knies, und knotete es, so fest ich konnte, zusammen. Die Karten wurden verteilt, und ich bekam wie gewöhnlich fortdauernd so miserable Blätter, daß ich überhaupt lange nicht "mitgehen" konnte; das Tuch ist schuld, sagte ich mir, denn von Einschlafen des Beines war nichts zu spüren. Ich ging hinaus und holte mir verstohlen ein nasses Handtuch. "Was machst du denn fortwährend da unter dem Tisch?" fragte mich ein Mitspieler, dem meine sonderbaren Bewegungen beim Festschnüren des Handtuches aufgefallen waren.

"Ich blute", erwiderte ich höhnisch, "ich glaube, der Friseur hat mich ins Bein geschnitten." Wieder wurden die Karten verteilt, und diesmal hatte ich trotz Zukaufens nicht einmal ein "Pärchen". Früher war es immerhin ein solches gewesen. Entweder ist der Inder, der das verdammte Buch geschrieben hat, ein Rindvieh, oder - -?

Ein einleuchtender Gedanke durchzuckte mich: durch Abnehmen des Taschentuches und durch mein Hinausgehen ist der immerhin ein wenig gehemmt gewesene Blutumlauf wieder hergestellt worden; kein Wunder also, daß mein gewohntes Normalpech sich noch verschärft hat. Diesmal wird's besser gehen, tröstete ich mich, denn ich fühlte bereits, daß das nasse Handtuch seine Schuldigkeit zu tun begann, denn alsbald konnte ich mein Bein kaum mehr bewegen.

Mein Vis-ä-vis, der Oberleutnant H., hatte bis dahin ein Riesenglück gehabt; ein stattlicher Haufen Papiergeld lag vor ihm, und sein sonst immer gesund gerötetes Gesicht war merkwürdig blaß, was mir auffiel.

"Fehlt dir was?" fragte in diesem Augenblick einer der Mitspieler, "du siehst ja heute aus wie g'spieene Gerstl, H.?" "Geht dich einen Dreck an!" war die mißgelaunte Antwort, "jeder kann aussehen, wie er will! Gib lieber Karten, ja! Die Zeit verrinnt, und ihr habt mir noch lange nicht genug Tribut gezollt!"

Fünf Karten wurden mir zugeteilt. Mein Bein war eingeschlafen, wie weiland das gottselige Dornröschen. Ich nahm die Blätter auf und erstarrte fast: "Royal flush!" Und noch dazu eines der allerhöchsten: coeur vom Achter bis zur Dame. Ich zog meine Brieftasche heimlich hervor und zählte unterm Tisch, wieviel ich insgesamt besaß. Eine wilde Auktion begann. "Die hundert Gulden und noch zweihundert!" begann mein Nachbar. "Diese zweihundert und noch vierhundert!" verdoppelte Oberleutnant H. Und so ging das fort, bis uns allen die Haare zu Berge standen, denn jeder wußte natürlich sogleich, daß jeder außerordentlich gute Blätter in der Hand haben mußte. Zwei Mitspieler streckten bald die Waffen; sie konnten nicht mehr mittun bei dem wahnwitzigen gegenseitigen Überbieten zwischen dem Husar H. und mir. Endlich hörte auch dies auf, da H.s und mein Geldvorrat zu Ende ging.

Wir sahen uns spähend in die Augen. Er wird Vierlinge haben, dachte ich bei mir, und bildet sich einen Mordsfetzen darauf ein; gegen mich ist dieser arme Stümper viel zu kurz, dieser Husar reitet zu langsam! "Also?" fragte H. mit höhnischer Stimme. "R-o-y-a-1 flush!" rief ich verächtlich.

Einen Augenblick ehrfürchtiges Staunen in der Runde. Auch H. schwieg und zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an.

Dann blies er grinsend den Rauch vor sich hin und krächzte los: "Royal flush kann jeder Zivilist haben, aber ob's bis zum König reicht?" Dabei legte er seine Karten auf: Royal flush bis zum König! Eine Pointe höher als ich!

Ich stand auf und ging hinaus. Habe seitdem nie mehr eine Karte angerührt. Als ich später einmal den Oberleutnant im Kaffeehaus traf, kamen wir auf die Episode zu sprechen. "A propos, warum hast du dir eigentlich damals das Bein mit dem Tuch umwunden?" fragte er, "es ist allen aufgefallen." Und sogleich setzte er höhnisch hinzu: "Bist wahrscheinlich bei einem Ritt im Baumgarten vom Gaul gefallen und hast es nicht eingestehen wollen? Na, ja, Zivilisten sollen eben nicht reiten!" -

Ich erzählte dem H. lachend, warum ich mir das Bein abgebunden hatte. "Aberglaube natürlich!" schloß ich. Oberleutnant H. machte zu meiner Verblüffung ein ernstes Gesicht. "Aberglaube?" sagte er, "vielleicht! Aber auch nur - vielleicht. Für einen Zivilisten war deine Pokerleistung immerhin beachtenswert. Natürlich, ein wirklicher Reiter gibt sich mit solchem Kinderpapp wie Beinabbinden nicht ab; er nimmt heldenhafterweise Rizinusöl - wie der Graf A. P. ! "

"Du hast Ri...?" rief ich erstaunt.

"Jawohl, drum habe ich damals auch so blaß ausgesehen!" war die stolze Antwort; "ich sag dir, Freund, das Mittel hilft. Allerdings nicht nur beim Kartenspiel. Leider. Wenn nur die verdammten Begleitumstände nicht wären. Aber: schadet nichts, den Pragern werde ich ihre paar Kröten noch abnehmen, und dann lasse ich mich pensionieren." -

Jahre später traf ich wiederum den Oberleutnant H. "Nun, wie steht's?" fragte ich ihn, "bist du reich geworden im Poker?" "Den letzten Knopf hab' ich verloren", gab er mir traurig zur Antwort, "das Rizinusöl hab' ich mir nicht an- und das verfluchte Kartenspiel nicht abgewöhnen können!" -

Oh, wie froh war ich da doch, daß ich mir damals nur das Knie abgebunden hatte!