Anfang     Texte     Bücher     Referenzen     Medien     Kontakt    Impressum  

Online-Quelle: mobileread.com

Südseemasken

Was sind Masken? Der Mensch der letzten Jahrhunderte, blind, taub und stumpf geworden für die feinen Einflüsse einer ihn umgebenden und durchdringenden geheimnisvollen Welt und überdies einer nur halbwegs in die Tiefe gehenden Erklärung nicht handgreiflich zutage liegender Ursachen geflissentlich ausweichend, wird sagen: Masken sind Hüllen, erschaffen aus überschwenglicher Phantasie; keinerlei Vorbilder, die in Wirklichkeit existierten, liegen ihnen zugrunde; Kinder nehmen sie vors Gesicht, um einander zu erschrecken; die Medizinmänner wilder Völker erfinden sie zum Zweck, sich die Unterwürfigkeit der Abergläubischen zu sichern.

Als im Jahre 1722 die Osterinsel Rapanui im Stillen Ozean von Roggeveen entdeckt wurde, fand man an ihrer Küste zahlreiche, viele Meter hohe schwarze Steinbilder stehen mit phantastischen Dämonengesichtern, und im Laufe der Zeit entstand die Behauptung, es seien Überbleibsel aus dem sagenhaften versunkenen Erdteil Atlantis, bis die Wissenschaft klarstellte, daß es lediglich aus Basalt gehauene Statuen sind, angefertigt von den Eingeborenen, um Feinde, denen es nach Überfall der Insel gelüsten sollte, in Furcht und Schrecken zu jagen. Was den Zweck solcher maskenhafter Bilder betrifft, hat die Erklärung demnach im allgemeinen recht. Wie aber kommt es, daß Fieberkranke oder Menschen, die ihr Nervensystem durch Rauschgifte zerstören, also – es, mit andern Worten, empfindlicher machend – in Anfällen von Bewußtseinstrübung grauenhafte Gesichter zu sehen »wähnen«? Wie kommt es, daß Mäuse, wenn man ihnen Hyosciamin einspritzt, sich auf die Hinterbeine aufrichten – was sie sonst nie tun, wenn sie einen Feind erblicken – und durch Gebärden äußersten Entsetzens verraten, daß sie etwas wahrnehmen, was unsern Sinnen verborgen bleibt? – »Erinnerungsbilder an einstmalige Erlebnisse werden wach, nichts weiter«, so werden die Physiologen behaupten – »Bilder sind es, die möglicherweise, verankert in den Körperzellen, als Erbschaft von den Ureltern her mit dem Blute übernommen wurden, Bilder, die kein Eigenleben außerhalb des Leibes besitzen und nichts Gegenständliches darstellen.« – Hat der Gelehrte recht, dann wäre die Maske, die der Südsee-Insulaner schnitzt und bemalt, das Konterfei der Erinnerung an ein Erlebnis, das er oder einer seiner Vorfahren einmal hatte! Der alte Herr mit dem Seemannsbart, den gefletschten Zähnen und den gestielten Augen, der hier abgebildet ist, hat also einst gelebt? Ist in das Dasein des betreffenden Insulaners getreten und hat ihn dermaßen erschreckt, daß die Erinnerung daran nicht stirbt? Man könnte einwenden: »Der alte Herr hat auf Erden nie gelebt: Angstvorstellungen allein waren seine Eltern. Abergläubische Phantasie hat ihn gezeugt und geboren.« – Nun, ich glaube nicht, daß Phantasie aus dem Nichts etwas erschaffen kann! Viel wahrscheinlicher dünkt mir: sie macht nur Unsichtbares sichtbar. Eine Annahme freilich, die jedem Aufgeklärten ein Lächeln abnötigen wird. Wie ich zu dieser rückständigen Annahme komme? Viele merkwürdige Erlebnisse haben mich dazu gedrängt. Ich will nur eins davon erwähnen: Vor ungefähr 25 Jahren lag ich in Wien an einem heftigen Grippefieber darnieder. Bilder von Landschaften jagten vor meinem Blick vorbei, aber ich erinnerte mich genau, wann und wo ich sie einst in meiner Kindheit gesehen hatte. Dann wurden die Gegenden von Wesen belebt, und mit besonderer Deutlichkeit tauchte eine Fratze auf, die sich mir derartig scharf ins Gedächtnis fraß, daß ich sie noch Wochen nachher, als ich längst wieder gesund geworden war, von Zeit zu Zeit bei ganz nebensächlichen Anlässen mit hellstem Bewußtsein vor mir sah. Eines Tages ging ich in ein WienerVölkerkundemuseum und ging von Glasschrank zu Glasschrank. Plötzlich erblickte ich wieder die fratzenhafte Maske. Es war haargenau die gleiche wie die, die mich im Fiebertraum erschreckt hatte. Zuerst glaubte ich, die Vision sei abermals aufgetaucht, aber es war diesmal Wirklichkeit! – Ein sogenannter Okkultist von heute würde sagen, ich hätte gewissermaßen prophetisch im Fieber das Erlebnis im Völkerkundemuseum vorhergeschaut. Eine solche Erklärung anzunehmen, widerspricht mir aus Gründen, die hier aufzuführen der knappe Raum nicht gestattet.

Ein berühmter Maler des Mittelalters (ich glaube Michelangelo war’s), riet, wer ein bildender Künstler ersten Ranges werden wolle, müsse damit beginnen, verwitterte Steinfliesen, Baumrinde und dergleichen so lange zu betrachten, bis er in der Struktur Gesichter zu erblicken anfange. Das innere Schauen schärfe sich dadurch. Ob wohl ein Maler von heute diesen Ratschlag beherzigt? Geschähe es, so glaube ich, unsere bildende Kunst träte gar bald in ein überraschend neues Stadium der Wiedergeburt! – Die primitiven Zeichnungen in Höhlenwänden, die vor nicht langer Zeit Frobenius in Afrika entdeckt hat, gelten als Kunstwerke ersten Ranges. Warum? Ungeheure Lebendigkeit spricht aus ihnen! Eine Lebendigkeit, die meines Erachtens nur der Fähigkeit des inneren Gesichtes entsprungen sein kann! Das innere Auge sieht mehr als das äußere. Weshalb da nach gewundenen Erklärungen suchen, daß die Kunstwerke der Südseeinsulaner (die Masken, die sie geschnitzt haben) keine innere Gegenständlichkeit zur Basis hätten? – –

Im beständigen qualvollen Kampf ums Dasein hat sich der Mensch allmählich daran gewöhnt, nur die sinnfältigsten Gesetze der Natur zu beachten. Nur sie macht er sich nutzbar; alles, was er nicht mit Händen greifen kann, scheint ihm überflüssig und wertlos. Das »Zweite Gesicht«, wie es dem Volke der Schotten und Westfalen bei einzelnen Individuen nachgesagt wird, hält er für Abnormalität in schlechtem Sinne. Mir will scheinen, als ob eine gewisse Pflege dieser merkwürdigen Eigenschaft recht wertvoll wäre. Ich glaube nicht, daß die Menge recht hat, wenn sie sagt: »Du wirst abgelenkt zu deinem äußeren Schaden, wenn du dich mit derart übersinnlichen Dingen befaßt!« – Im Gegenteil, zum Denken nach außen hin wird vielmehr nach und nach eine Fähigkeit treten, die wir am besten »Überinstinkt« nennen können. Weshalb die immer mehr zunehmende Abkehr der Menge von der medizinischen Wissenschaft zur Naturheilkunde, wenn nicht ein inneres dumpfes Gefühl riete: es gibt feinere Einflüsse, als die grobe Chemie des Heute zugesteht? – Womit ich keineswegs der gegenwärtig herrschenden Kurpfuscherei der Schwärmer und Schwindler das Wort geredet haben will.

Ich bin überzeugt, eines Tages wird sich die Aufmerksamkeit der Forscher der Wirkung gewisser pflanzlicher Gifte mehr als je zuvor zuwenden. – Was sind eigentlich Gifte? Wie kommt es, daß so ziemlich jedes, ehe es den Menschen über die Schwelle des Todes bringt, Halluzinationen – wie der unklare Ausdruck lautet – ganz bestimmter Art erweckt? Liegt die Annahme gar so fern, daß es sich bei solchen »Sinnestäuschungen« um etwas anderes als Gegenstandsloses handelt und nicht vielmehr um Wahrnehmung bestimmter Tatsächlichkeiten?

Man stelle sich vor, eines Tages würde offenbar, daß Masken, wie etwa die der Südseeinsulaner, nichts anderes sind als Porträts von Wesen, die ebenso wie wir ein Leben führen! Ich meine, das Interesse der Menschheit würde an einem solchen Tage derart von allem bisherigen abgelenkt werden, daß alles stillstünde, was heute die Triebe bewegt. Ob der Verlust gar so groß wäre?! Zum Glück (oder zum Unglück?) wird ein solches Ereignis kaum in eine kurze Spanne Zeit zusammendrängen. Das geistige Unterscheidungsvermögen, auf das ich hier anspiele, wird wohl immer nur auf wenige Menschen beschränkt bleiben; man wird sie nach wie vor noch durchJahrtausende »die Abnormalen« nennen. Sie werden sich stets als Einsame fühlen, im Herzen aber über allen Zweifel hinaus wissen: es gibt Dinge und Wesen, die ebenso »wirklich« sind wie die, die dem Reiche des mit dem äußeren Auge wahrnehmbaren Spektrums angehören; vielleicht sind sie sogar wirklicher – wirkungskräftiger. Vielleicht entspringt so manche unerklärliche Stimmung, die den Menschen bisweilen befällt, der Nähe solche dämonischer Masken! Der normale Mensch wird es einer Magenverstimmung zuschreiben, der Hellsichtige aber, die Ursache durchschauend, wie der Salonlöwe im Ballhaus sagen: »Schöne Maske, ich kenne dich!«