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Am anderen Ende der Currywurst - Texte

Die Entdeckung des Earl-Grey-Tees

von Arne Poeck

Nun - viele wichtige Dinge verdanken ihre Entdeckung einem Unglück.

Die berühmte blaue Mauritius verdankt zum Beispiel ihre Berühmtheit einem fatalen Fehler im Druckstock - der damals letztlich dem Postmeister der Insel den Job kostete, aber die Marke äußerst begehrt machte, obwohl man sie mitnichten essen kann. Außerdem wissen wir aus Uwe Timms "Entdeckung der Currywurst", dass der Entdeckerin einfach Ketchup und Currypulver durcheinander gepurzelt sind und sie merkte, dass diese Mischung sich in Verbindung mit Bratwurst als überaus schmackhaft erwies.Leider eignet sich dieses Buch weder als Kochbuch noch als wissenschaftliche Referenz, da dieses Ereignis nur in ein paar Sätzen abgehandelt wird und die Weiterentwicklung dieses Lebensmittels zum marktfähigen Produkt, einschließlich Testreihen, wissenschaftlichen Optimierungsuntersuchungen und der Darlegung der Currywurstevolution zu den verschiedenen neuzeitlichen regionalen Varianten gänzlich fehlt.

Aber dies soll nicht das Thema sein.

Lassen wir uns lieber eintauchen in die Athmosphäre eines Lagerhauses. Überall riecht es nach Tee, teuren Essenzen, Gewürzen und Teppichen - kurzum: man wird leicht besoffen vom Duft - so besoffen, dass man leicht verschiedene Dinge durcheinander schmeißt, wie es dem Quartiersmeister Petersen in der Hamburger Speicherstadt passiert ist.

Hier spielt auch die wahre Geschichte des Earl Grey-Tees.

Nun ja, es kursieren noch heute verschiedene Gerüchte, dass 1830 auf einem Schiff während eines Sturms ein Fass Bergamotteöl umgekippt sei und den daneben gelagerten Tee mit seinem Inhalt verunreinigt hätte - und dies sei die Geburtsstunde dieser Teesorte gewesen, aber diese Version ermangelt gänzlich der Glaubwürdigkeit, denn

  • erstens wurden früher (1830) auf hoher See Fässer immer gut festgezurrt, damit sie eben nicht während eines Sturms umkippen konnten. Ganz im Gegensatz zur Lagerung von Fässern zu Lande, wo sie immer einfach nur so herumstehen, im Vertrauen auf ihren hinreichenden Grundquerschnitt und der verschwindenden Wahrscheinlichkeit schwankender Böden.
  • Zweitens wäre ein solcher Fall Lloyds gemeldet worden, aber die Archive der Firma wissen nichts von einem solchen Vorfall und Lloyds hat immer recht. Skeptiker mögen jetzt einwenden, diese Versicherungsarchive berichteten ja auch nichts von einem entsprechenden Vorfall zu Lande, aber gerade dies belegt ja die Evidenz der wahren Geschichte: Lloyds kümmert es nämlich nicht im Geringsten, was an Land passiert und folglich muss alles, was Lloyds verschweigt, an Land passiert sein.
  • Drittens hätte in diesem wirklich so gut wie unmöglichen Falle die Besatzung auf dem Rest der Fahrt die gesamten Teebestände ausgeschlürft (es handelte sich nämlich um ein englisches Schiff!)

Wenden wir uns also, nachdem ich die Unglaubwürdigkeit der allgemein üblichen Entstehungslegende mit beinahe Wellinghausenscher Schlüssigkeit widerlegt habe, wieder dem Quartiersmeister Johnny Petersen vom Wandrahmstieg zu.

Er war gerade von einer Erkundungstour aus Flensburg (1890) zurück, auf der er zahlreiche Lagermöglichkeiten für Rumfässer kennengelernt und seine Fähigkeiten in der geschmacklichen Qualitätsprüfung von Rumsorten durch unermüdliche praktische Übungen erheblich verbessert hatte. Bis zur letzten Minute prüfte er noch Qualitäten von Rumsorten, dann stieg er in einen seiner Ansicht doch recht stark schlingernden Zug nach Hamburg.

Dort angekommen betrat er seinen Arbeitsraum im zweiten Stock und sah dort als erstes ein kleines Fässchen. Er freute sich, denn er meinte, es sei das Fässchen, das er in Flensburg erstanden und per Expressgut in sein Lagerhaus gesendet hatte, um betreffs Rumtestens in Übung zu bleiben.

Ohne näher hinzusehen hob er das Fässchen an, suchte nach einem Zapfhahn, fand ihn, schlug ihn ins Fass ein, stellte es in seiner Ungeduld ziemlich kippelig auf eine Tischkante - und schenkte sich eine Probe ein.

Erschrocken stieß er das Fass um, als er vom Inhalt des Probierglases einen Hustenanfall kriegte. In dem Fass war nämlich Bergamotteöl, eine nicht allzu trinkgeeigete Flüssigkeit; die nunmehr durch die Dielen seines Arbeitsraums sickerte und in eine Kiste voll mit Tee im Stockwerk darunter hineinträufelte.

Johnny Petersen betrachtete das Unglück, das, im Nachhinein betrachtet, gar nicht so groß war: Man stelle sich einmal vor, darunter hätten Teppiche gelagert! Man hätte sie einfach gereinigt und eine große Chance einer Genussmittelentdeckung wäre verstrichen.

"Hilft ja nichts, wollen wir doch mal sehen, was sich da noch retten lässt", meinte Johnny Petersen, als er sich von dem Schrecken erholt hatte. Schnell hatte er sich eine Tasse von dem seltsamen Gemisch gebraut - und er fand, dass es fürchterlich schmeckte (was wohl daran lag, dass er einerseits aufgrund des bergamotteöls, andererseits aufgrund seiner bereits ausgiebig erwähnten Rum-Proben seinen Geschmack für Tee eingebüsst hatte). Im Grunde genommen war dies ein Glück, denn hätte er diesen Tee gemocht, hätte er ihn zum großen Teil gleich selber getrunken (wenn auch nicht vollständig, weil hier ja kein englisches Schiff, sondern ein Hamburgisches Lagerhaus war) - und hätte die folgende Überlegung gar nicht getätigt.

Petersen überlegte also: "Es gibt doch viele Spezialitäten, die zwar nach gar nichts oder abscheulich schmecken, aber einen großen Ruf haben und darum ein Heidengeld kosten. Und weil solche Spezialitäten teuer sind, wollen steinreiche Idioten diese unbedingt haben, um andere steinreiche Idioten damit zu beeindrucken. Letztlich loben die Snobs diese Spezialität einhellig in den höchsten Tönen - nicht etwa, dass sie sie besonders schätzten, sondern ausschließlich zu dem Zweck, vor den andern nicht als Banausen da zu stehen."

Und da durchschoss es ihn: ein vornehmer Name und eine Legende musste her. Petersen war etwa 50 Jahre alt und hatte schon angegraute Haare. Außerdem galt er als ausgesprochener Frühaufsteher, was ihm in Quartiersmeisterkreisen den Spitznamen "Early Grey" eintrug. "Early Grey" - das war's noch nicht, aber das Streichen des ersten 'y' machte den Markennamen perfekt. Als Legende setzte er die Geschichte in die Welt, die wir gemeinhin heute noch fälschlicherweise erzählen.

Es blieb Johnny Petersens größter Verkaufserfolg, und es gelang ihm nicht mehr, einen noch größeren Marketingcoup zu landen. So sei an dieser Stelle nur noch kurz erwähnt, dass er, als er einmal knapp an Tee war, stattdessen brasilianischen Tabak mit Bergamotteöl versetzte und als "Earl Greys Trinktabak" zu verkaufen suchte. Aber kritische Anmerkungen von Kunden wie "Das Gesöff kann man ja höchstens in der Pfeife rauchen!", ließen ihn von diesem Vorhaben rasch Abstand nehmen - Leider kam er nicht auf die Idee, diese Anmerkungen wörtlich zu nehmen - vielleicht, weil es sich hier um ein absichtliches Durchmischen von Ingredenzien und nicht um ein anfängliches Unglück handelte - und so machten das Geschäft mit aromatisiertem Tabak - eigenartigerweise sogar solchem mit Rum-aroma - schließlich andere.

Unsterblich jedoch wurde Johnny Petersen durch seine Entdeckung - den Earl Grey-Tee, dem dann dank hanseatischem Geschäftssinn ein großer Erfolg zuteil wurde.

P.S.

Nicht immer zieht ein Missgeschick eine geniale Entdeckung nach sich - so hofft z.B. Manfred Stolpe noch immer auf einen genialen Durchbruch. Ob es etwas nützt, dass er sich nach einigen "Toll-Kollekten" den Beinamen "Lord of the Flops" zugelegt hat, analog zu dem ebenfalls adligen Earl Grey?

Wohl eher nicht, den er amtiert ja in Berlin, und so fehlt ihm auch der nötige Hamburgische Genius Loci, der neben dem Earl-Grey-Tee auch die wahre Currywurst möglich machte.