Hochsommer im Herbst
oder: Was man als Slammer beim Fest der Deutschen Einheit so alles erleben kann
geschrieben am 4. Oktober, in frischer Erinnerung an das Fest der Deutschen Einheit vom 1. bis 3.10.2011, siehe auch
die Danke-Schön-Runde
Was macht ein Poetry Slammer am Tag der Deutschen Einheit? Natürlich - Er slamt. Was soll er auch anderes machen? Manchmal slamt er
auch an ganz ungewöhnlichen Orten, wie in meinem Falle 2011. Und das möchte ich einmal kurz erzählen.
1. Oktober 2011, 2 Uhr 30. Der Wecker klingelt. Ich stehe auf mit dem Gedanken im Kopf: Worauf habe ich mich denn da eingelassen?
Zum ausgiebigen Frühstück (oder müsste es eigentlich Frühststück heißen?) bleibt noch genügend Zeit,
also hat der Gedanke "Worauf habe ich mich denn da eingelassen" noch genügend Zeit, in mir herumzuspuken. "Warum tue ich mir das an,
anstatt ein paar Stunden später mein Spätstück zu genießen - es ist schließlich Samstag!"
Aber meine 25 Texte und 7 Sachen habe ich ja schon tags zuvor verpackt, und so steige ich pünktlich um 4.57 Uhr in die S-Bahn - der
Beginn einer Reise, die mich für immer verändern wird, das würde jedenfalls ein Schriftsteller schreiben, der gern mit falschen
Versprechungen einen Roman beginnt, aber ich bin kein solcher, und darum schreibe ich nur: der Beginn einer inspirierenden Reise.
Die Hinfahrt verläuft im großen und Ganzen jedenfalls nach den Maßstäben der Bahn reibungslos - von Hamburg nach
Köln, da zunächst vergeblich auf die Weiterfahrt nach Bonn wartend und schließlich mit einer Viertelstunde Verspätung in
einen Ersatzzug steigend. Gut, dass ich so früh dran bin.
In Bonn steige ich aus - kaum zu glauben, dass dies einmal unsere Bundeshauptstadt war, mit so einem kleinen Bahnhof!
Und wo muss ich hin? Natürlich - zum Hamburg-Stand - "Auf der Hofgartenwiese, Du findest ihn ganz leicht", hatte man mir gesagt. Ich war
mir da nicht ganz so sicher - meine Auftraggeber kennen doch mein einmaliges Talent nicht, ständig falsch zu laufen und dadurch riesige
zeitraubende Umwege in Kauf nehmen zu müssen.
Doch wider Erwarten sehe ich, als ich mich auf das Akademische Kunstmuseum zu bewege, auf Anhieb ein riesiges Zelt, auf dem "Hamburg voran"
zu lesen ist - und somit mein Ziel.
Durch die um 10 Uhr noch hektische Betriebsamkeit der Festvorbereitungen wühle ich mich durch. Erstaunlicherweise hat mich zumindest
einer auf Anhieb erkannt, und begrüßt mich. Sogleich bekomme ich von einer netten Assistentin eine Hundemarke mit der Aufschrift
"Künstler" umgehängt, zu meiner Freude verzichtet sie aber darauf, mich angeleint in den Backstage-Bereich zu führen - sie
hält mich wohl - richtigerweise - für etwas durchgeknallt (wie alle Künstler), aber ansonsten harmlos.
Bis zum Beginn der Shows um 15 Uhr habe ich noch genügend Zeit, all die Musiker kennen zu lernen, mit denen ich die nächsten drei
Tage verbringen werde (Armin, der mit mir den Poetry Slam-Teil bestreiten wird, kenne ich ja schon).
Und die Temperaturen steigen, denn es war Hochsommer im Herbst.
Und das Programm beginnt:
Zuerst Eine Band, die in einem abenteuerlichen Outfit mit silbernen Perücken und Fliegenpilzhüten auftritt -die machen mich ganz
neidisch, weil die ja noch bekloppter sind als ich - Hej- Bekloppt sein ist mein Job!
Dann eine weitere Band, die sehr guten und gefälligen Pop-Rock spielt, die ich aber immer nur am Rande mitkriege, weil der Poetry
Slam-Teil unmittelbar darauf folgt.
Außerdem nach uns eine wunderbar bunte Multikulti-Truppe mit drei Sängern, Instrumentalisten einer E-Gitarristin, die ihrem
Instrument höchst ungewöhnliche Töne entlocken kann und schließlich einer Tanzgruppe mit Tänzern mit geradezu
atemberaubender Gelenkigkeit und Agilität. Ein Glück, dass die Bühne so groß ist. Und so sind meine Befürchtungen,
dass bei einer Nummer die blonde Solistin sich einmal unlösbar in sich selbst verknoten könnte, auch ganz haltlos.
Und ich schwitze, denn es ist Hochsommer im Herbst.
Zu guter Letzt macht der Moderator, der meine Hinweise auf die ein paar Tage später stattfindenden Deutschsprachigen
Poetry-Slam-Meisterschaften gut in seine Moderation einbaut und sich damit bei mir sehr beliebt macht, noch ein Hamburg-Quiz mit
zwangsverpflichteten Freiwilligen aus dem Publikum, das so hinterlistig durch die hinreißenden Hip-Hop-Darbietungen ins Zelt gelockt
worden war.
Und so geht es weiter: dreimal am Samstag, viermal am Sonntag und schließlich dreimal am Tag der Deutschen Einheit, dessentwillen wir
alle ja da sind - und alles, wie eine ICE-Linie, im 2-Stunden-Takt, nur im Unterschied zu dieser: Wir waren pünktlich! Die Zeit vergeht
wie im Fluge, und die Showtruppe wächst immer besser zusammen. Und wir alle schwitzen, denn es ist Hochsommer im Herbst!
Vor allem lerne ich eines: Publikum ist launisch. Musikpublikum ist enthusiastisch, Slam-Publikum begeisterungsfähig, wenn auch
unberechenbar, normales Open-Air-Publikum gut gelaunt, aber: aber Laufpublikum, wie hier, ist leichtflüchtig! Ich muss mein Programm
anpassen, und nach einiger Zeit gelingt es mir halbwegs, auch wenn Literatur gegen Musik letztlich immer die Arschkarte zieht. Leider geht auch
die Zweite Bürgermeisterin am 3. Oktober mit schlechtem Beispiel voran und verlässt unmittelbar, bevor unser Poetry Slam kommt,
beinahe fluchtartig das Zelt.
Und was sagt man dazu? Buuuuh!
Ich kann nicht berichten, was ich sonst noch so alles an Eindrücken aus Bonn mitnehme - das würde den Rahmen meiner Zeit sprengen,
darum nur eins: Kaum ist man in einer gewissen Routine der Abläufe drin, ist die Zeit am Hamburg-Stand schon wieder vorbei, und mit einer
gewissen Wehmut nehme ich Abschied.
Die Rückreise verläuft, wie die Hinreise verläuft nach Maßstäben der Bahn normal - von Bonn nach Köln
hätten die Fahrgäste gut einen japanischen Zugschubser brauchen können, mein Zug von Hannover nach Hamburg hat zwanzig Minuten
Verspätung, und zu Hause komme ich etwa eine halbe Stunde später an als vorgesehen.
Dennoch: Ich möchte die Erfahrungen dieser Reise nicht missen!