Noch so ´n "Ich-Will"-Text
Vorgetragen beim Slam The Pony am 15. Februar 2008
Ich will, ja -
Ich will dies
Ich will das
Ich will dies und das, oder wie ´s zupass?
ach was ...
- Was will ich eigentlich ?
Will mal überlegen, was andre so wollen:
- Paul will - so viel, dass man es in 5 Minuten kaum unterbringen kann 1
- Peh will wieder sechs sein - und noch alles vor sich haben 2
- Gauner lieber 60 - und alles hinter sich 3
- Anna Novok gut-gelaunt und glücklich 4
- Xochil - ein Luder 5
- Michael Bittner - ein Freak 6
- Frank Klötgen will Kacheln 7
- Julius Fischer will Kunst machen 8 - aber wollen wir das nicht alle?
Wenn ich das alles - und noch viel mehr - will und zwar sofort und auch bleiben will, was ich bin und "binnen",
was ich will und im Willen bleib´ - will ich dann wirklich ein 6-plus-60-Jähriger bald guter, bald ludriger Kunstfreak sein,
der beim Sex im Flugzeug Kacheln bemalt?9
Nein - lieber will ich - freiwillig - mal einen ganz und gar sinnlosen Text schreiben.
Ach - da höre ich den Einwand: "Mann, das machst du doch sowieso andauernd!"
Aber das weise ich entschieden zurück! Denn wenn man sehr genau danach forscht, findet man bislang in jedem meiner Elaborate irgendwo noch
einen versteckten Sinn. Na gut, muss man ihn halt mit der grammatischen Lupe suchen oder gar mit einem Phonemmikroskop. Schlimmstenfalls
muss man Elementarsilben meines Textes in einen Metaphernbeschleuniger gigantischen Ausmaßes packen, sie mit Geistesblitzlichtgeschwindigkeit
frontal aufeinander schießen und anhand der phonetischen Crashbilder schließlich feststellen, dass die Sprachquark-Teilchen doch eine gewisse
semantische Masse haben - kurz: irgendwas Sinnvolles findet man immer, wenn auch -zugegebenermaßen - mit ganz und gar sinnlosem analytischem
Aufwand.
Aber selbst das will ich verhindern - ich will den Sinn im Geschriebenen so er- und verschrecken, dass er in Blitzesschnelle aus dem Text
verschwindet, besser noch in Licht-Tempo aus den Sätzen - ach, was sage ich - in solch immenser hyperlichtgeschwinder Fahrt aus jeder Silbe in
panischer Angst flieht, dass die Relativitätstheorie kräftig angezweifelt, wenn nicht gar endgültig widerlegt würde, wenn es sich hierbei nicht
nur um durchgeknallte Worte handelte.
Ich will etwas so Abstruses schreiben, dass alle Zuhörer anfangen, sich derart am Kopf zu kratzen, dass das Geräusch des Kratzens so laut
ist, dass Anwesende vom Lärm taub werden, Leute in zehn Kilometer Entfernung entsetzliche Kopfschmerzen und Angstzustände bekommen, wie wenn
"Slayer" im Nachbarzimmer ein so richtig schön böses Trash-Metal Konzert gibt 10 und selbst in Australien die Bewohner
von Sidney noch so penetrante Kratzgeräusche hören können, dass sie tagelang rätseln - wieso zum Teufel sich in Hamburg so viele Leute am Kopf
kratzen -was zweifellos fast ebenso wenig Sinn gibt wie mein Text, den ich schreiben will.
Zugleich soll alles natürlich auch so abwegig und bekloppt klingen, so dass die Zuhörer mit "Vogel-Zeigen" anfangen, mit Fingern wie der
Schnabel eines Buntspechts - und sie hämmern und hämmern bis zur Gehirnerschütterung, hämmern bis zur Delle im Schädel, hämmern bis zum Loch im
Kopf, ja - bis man bei jedem Betroffenen von der Stirn aus das Licht am Ende eines Tunnels durch seine Gehirngänge erblicken kann - welch
Erhellung des mentalen Innenlebens eines ganzen Auditoriums!
Mein Text soll so unplausibel sein, dass alle in sich immer stärker beschleunigenden Takt ihre Köpfe schütteln und rütteln und immer
rasender hin und her werfen, ja schleudern, dass die sich so ausbildenden Schleudertraumata nach einiger Zeit selbst Schleudertraumata kriegen
und schließlich eine aus vielen Generationen bestehende Schleudertrauma-Population erwächst, der ihrerseits kollektiv furchtbar schwindelig wird,
genau wie mir, dem mittlerweile von den vielen Ebenen und Metaebenen und Verwandtschaftsbeziehungen der Schwindeligkeiten-Historie schon richtig
dusselig im Kopf ist.
Niemand soll von dem, was ich sage, irgend etwas verstehen, so dass ein allgemeines Stirnrunzeln anhebt - jede Stirn legt sich in solche Furchen,
dass man zunächst Radieschen und immer gewaltigere Wurzelgemüse in ihnen säen und ernten kann, die mit ihrem Vitamingehalt den Gesundheitszustand
von ganz Hamburg nachhaltig verbessern. Dann sammelt sich in ihnen tonnenweise Mutterboden, in dem schließlich Bäume, ja ganze gewaltige Wälder
sprießen und gedeihen, die dem Klimawandel energisch Einhalt gebieten, und letztlich die Welt erretten, denn ich will ja auch ein kleines
bisschen Gutes tun mit meinem literarischen Werk.
Ja, so etwas will ich schreiben, so etwas, dass selbst die Beschreibung des Geschriebenen jeder Beschreibung spottet. Und am liebsten
möchte ich, dass niemand merkt, dass mein Geschreibsel ganz und gar sinnfrei ist und ich deshalb wegen dieses Textes am Ende für genial g
ehalten werde, weil die in einem stummen Schrei gestellte Frage: "Was zum Teufel wollte der Dichter uns damit denn nun schon wieder sagen?"
ohne Antwort bleibt.
Ob ich das wohl jemals zustande kriege?
Anmerkungen:
1 Text von Paul Hofmann (Moderator des Pony-Slams) : Was ich will
2 Text von Peh (Berlin): "Ich will wieder sechs sein"
3 Ausspruch von Gauner (Berliner Slammer)
4 Text von Anna Novok (Berlin): "Ich will gut sein"
5 Text von Xochil A. Schütz: "Ich will ein Luder sein"
6 Text von Michael Bittner: "Ich will ein Freak sein"
7 Text von Frank Klötgen (Berlin): "Ich will Kacheln"
8 Text von Julius Fischer (Leipzig): "Ich will Kunst machen"
9 Anspielung auf alle in 1 bis 8 gemachten Texte
10 Text von Mischael Sarim-Verollet (Bielefeld)
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