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Slam-DM in Zürich

(ein Reisebericht)

Im Juni 2008 hatten ja bekanntlich die Züricher eine hervorragende Gelegenheit, für das wirklich wichtigste Ereignis des Jahres im deutschsprachigen Raum zu proben. Dieser Text geht aber nicht um diese Vorübungen in Form einiger Spiele der Fußball-EM, die unverständlicherweise in der öffentlichen Berichterstattung einen so großen Raum einnahm, obgleich diese im Vergleich zu dem, worüber ich nun berichten will, geradezu nebensächlich war. Hier geht es nicht um ein weiteres Sommermärchen, gut, der Ball war rund, aber hier ging´s ganz real rund! Es geht auch erst recht nicht um so etwas wie Olympische Spiele, bei denen es mittlerweile schon mehr als 200 Titelträger gibt, weshalb dort zu gewinnen eigentlich nichts Besonderes mehr ist - nein! Es geht hier um den ultimativen Herbst-Traum im November mit nur drei Titelgewinnern, also ein Ereignis, bei dem die wahre Elite am Start war, einem Ereignis, an dem Götter gekürt wurden- mit anderen Worten: Es geht um die deutschsprachige Poetry-Slam-Meisterschaft.

Und ich war dabei.

Ich kann kaum systematisch zusammenfassen, was ich da alles erlebte, ich muss mich leider auf ganz wenige Stichworte beschränken.

Schon bei der Ankunft war ich fast erschlagen von den Fanmeilen, Public Viewings, Vip-Zelten, die von der eigentlichen Stadt Zürich nichts mehr erkennen ließen, vom Meer der Fahnen und Wimpel aller Damen und Herren Bundesländer Österreichs und Deutschlands sowie der Kantone und Halbkantone der Schweiz, der vertretenen Städte und Slams - sogar Liechtensteins Flagge war deutlich zu sehen.

Ich erinnere mich aber schon an einige unschöne Szenen, als sich einige Teilnehmer aus gleichen Städten bei der Eröffnungsfeier erbittert darum stritten, wer denn nun von ihnen beim Einmarsch der Slamioniken welche oder überhaupt eine Fahne tragen durfte - Ich hatte in dieser Beziehung keinerlei Probleme mich durchzusetzen, denn ich riss die Bergedorfer Fahne mit finsterster Entschlossenheit an mich - wobei ich gern verschweige, dass es ein zaghaftes Zugreifen eigentlich auch schon getan hätte, da ich ja der einzige Bergedorfer in Zürich war.

Aufgewogen wurde das Ganze aber durch den Slammer-Eid zum fairen Dichten, den der Geheimfavorit aus Fribourg Renato Kaiser glaubwürdig und stellvertretend für alle (sogar mich selbst eingeschlossen) ablegte. Auch wenn keiner (sogar ich selbst eingeschlossen) so recht wusste, wie man überhaupt unfair dichten kann.

Das Drum und Dran der Slam-DM war atemberaubend:

  • alle Trainingslager von Aargau bis Zug waren ausgebucht - auch wenn niemand so recht wusste, was eigentlich ein Slam-Trainingslager ausmacht und was man da eigentlich macht.
  • Alle paar Minuten gab es stundenlange Pressekonferenzen zu Mannschaftsaufstellungen der Teams - auch wenn niemand so recht verraten wollte, welche Taktik nun verfolgt werden sollte.
  • Der Schwarzmarkt blühte in prächtigsten Farben - so mancher Slam-Begeisterter kehrte mit nichts als dem, was er am Leibe trug, in die Heimat zurück - und das womöglich sogar gleich 1000 km weit zu Fuß, weil er sein Rückfahrticket für eine Final-Karte versetzt hatte.

Erbitterte Diskussionen um Dopingaffären waren ebenfalls an der Tagesordnung - Slammer stehen nun mal in dem Ruf, gern mal einen zu heben. Heftigste Diskussionen, inwieweit Alkohol einen unerlaubten Performance-Vorteil verschafft - aber so mancher, der an seine Wirkung glaubte, hat es sehr ausgiebig ausprobiert und wurde dann prompt von der Jury mit Nullnoten abgestraft - tja, gewiefte Zuhörer merken eben immer, wenn da was Unerlaubtes läuft (auch ohne Wada oder Nada beim Dada) - aber wie nur schafft eine rein zufällig zusammengesetzte Jury das bloß ohne Blutproben? Ich gäbe viel drum, dieses Geheimnis ergründen zu können. Demgegenüber war aber EPO übrigens ausdrücklich erlaubt, denn dies ist in Slammer-Kreisen die Abkürzung für "Echte Poesie". Selbst LSD war erlaubt, denn gegen "Liebe statt Drogen" gibt es nun wirklich nichts zu meckern, darum wurden die beiden ja auch Teammeister, mögen Lars Ruppel, Gabriel Vetter und Felix Römer auch noch so "SMAAT" sein.

Aber als was "echte Poesie" verstanden werden sollte, daran schieden sich natürlich die Geister - ach, was wurde in Halle 1 und 3 und im Moods leidenschaftlich gestritten und gezürnt:

  • es gab gellende Pfeifkonzerte bei Fehlentscheidungen der Jury, bei richtigen Entscheidungen der Jury und wenn die Entscheidung der Jury auf sich warten ließ.
  • es hagelte Häme oder Mitgefühl nach ganz und gar misslungenen Versdribblings, nach denen der Dichter ganz schön bedröppelt aussah und deshalb eine triple-trouble-drippel-Dröppel-Miene aufsetzte, wie man diesen Gesichtsausdruck in Fachkreisen nennt.
  • Das Publikum bebte aber auch vor Begeisterung über verwandelte Wortspiele und gelungene verbale Haiku-Tricks, und vor Enttäuschung über verschossene Elfchen-Pointen und über zwei Linien gespielte Hexameter - wenn man sich zu sehr mit misslungenen Metaphern aufs Glatteis begab.
  • Kollektiv ekstatische Reaktionen gab es auf schwindelerregende Kombinationsformulierun-gen beim Teamwettbewerb - nur die Life-Kommentare von Gerhard Spelling und Günther Schwetzer, die 24 Stunden über sämtliche eidgenössischen Fernsehschirme flatterten, waren allerdings bisweilen doch recht störend.
  • Schiedsrichter ahndeten erbarmungslos jedes epische Abseits, Prosa-Fouls, lyrische Fehlpässe und gefährliches Wortspiele.
  • Gar manches Match im abschließenden Highlander des Finales wurde durch ein Elfsilbendeklamieren entschieden.

Auch die Stadt selbst kam natürlich vier Tage lang nicht zur Ruhe:

  • Literarische Sprechchöre und Slam-Gesänge der Slamily hallten durch die nächtlichen Straßen der Altstadt.
  • Autokorsi gab es für Sebastian Krämer (d.h. wenn er dabei gewesen wäre, hätte es welche für ihn gegeben, aber so gab sie für andere), Hupkonzerte, wenn Mark Uwe Kling zum dritten Mal gewonnen hätte (der aber diesmal auch anderen eine Chance lassen wollte und gar nicht antrat, und so erhielt eben Sebastian 23, der neue Slam-Meister das verdiente automobilmusikalische Sinfonie-Ständchen), spontane Verbrüderungen von Fans mit Urzürchern, wenn ein krasser Außenseiter durch einen genialen "Last-Minute-Reim" den scheinbar schon unmöglichen vierten Platz fürs Weiterkommen in die 2. Runde schaffte, unbeschreibliche Jubelszenen in Halle 1 und 3, der Schauspielhaus-Spielstätte im Züricher Westen, wenn wir Teilnehmer für Heimfeld wieder mal erfolgreich den letzten Platz vermeiden konnten, spontanes Feuerwerk und Böllerkaskaden, als ich für Heimfeld erstmals das Halbfinale - auch nicht erreichte.
  • Kurz: Die ganze Stadt war im Rausch allgewaltiger Alliterationen, profunder Prosa, lauter leiser und lauter lauterer und unlauterer Lyrik und lauter be-, er- und verkannter Verse, niemand kam nachts zur Ruhe, weil an jeder Straßenecke irgendeine Fangrupe irgendeine besonders gelungene Passage aus den Texten irgendeines Slammers aus Bielefeld oder Fribourg oder Paderborn oder sonst wo in ohrenbetäubender Lautstärke im Chor rezitierte - oder in anderen Worten: Zürich war ganz und gar in der Hand von Verseschmieden, Silbenflechtern, Geschichtendrechslern, Poesiestukkateuren, Prosazimmerern und Lyrischen Zisileuren, ja: "Zürich sehen und Sterben" war fast wörtlich zu nehmen - oder litten jene bedauernswerten Zuschauer, die da nach Mitternacht am Escher-Wyss-Platz mit debilem Grinsen am Boden lagen, nur an einer Performance-Vergiftung, die schon wieder im Abklingen war?

Was meinen Auftritt betrifft, ist schnell erzählt - ich habe ja mit aller Gewalt versucht, sämtliche Jurymitglieder zu bestechen, um so ins Finale zu kommen oder zumindest in die Slam-Geschichte als Ursache des größten Skandals eben dieser einzugehen, aber das ganze ist einfach daran gescheitert, dass ich zu geizig dafür war - integer bleiben ist eben halt manchmal billiger!

Ich hoffe, ihr habt nun einen Eindruck davon gewonnen, wie beeindruckend das bedeutsamste Ereignis des Jahres im ganzen deutschsprachigen Raum in Zürich war - wenn ich auch bei meinem Reisebericht vielleicht eine Spur übertrieben und ein ganz klein wenig geflunkert habe - na ja, eigentlich habe ich restlos übertrieben und ganz schön zürichseemanngarnmäßig geflunkert beziehungsweise euch hemmungslos die Hucke voll gelogen - Schön war ´s schon. Wenn auch die Mehrheit der Zürcher von dem munteren Treiben kaum was mitgekriegt hat (wie überall in der Welt, wenn mal was wirklich Wichtiges läuft): Die Literaturbegeisterten der Stadt - und das sind nun mal die einzigen, die wirklich zählen - haben uns eine wundervolle Woche beschert.