Vorbemerkung: der vierte Absatz ist doch tatsächlich in einem wissenschaftlichen Text zitiert worden, und zwar
auf der Homepage der Universität Miskolc (Ungarn)!
Höchstallemannisch in Zermatt
Grüezi!
...
Tja, da habe ich gerade mal ein Wort gesagt und - schon liege ich falsch! Die Rede ist nämlich von Zermatt,
und Zermatt liegt im westlichen deutschsprachigen Wallis und dort wird das westliche Walliserdeutsch gesprochen
und westliches wie östliches Walliserdeutsch gehört nicht zu den hochalemannischen Dialekten, die man so in den
größeren Städten wie Zürich oder Bern spricht und schon gar nicht zum Niederallemannischen, auf das die hohen
Allemannen allenfalls verächtlich "niederluege".
Nein, hier in Zermatt wird Höchstalemannisch gesprochen und wir können höchst froh sein, dass diese Stadt
nicht auf der Höhe Tibets liegt, dann nämlich würde den Dialektologen wahrscheinlich ihre Terminologie ausgehen -
der Begriff "Allerhöchstallemannisch" würde wohl als allerhöchst unwissenschaftlich bezeichnet werden, weil
ein Superlativ bekanntlich nicht mehr kompariert werden darf.
Nun gut, aber schon die Matterhornlage macht die Kommunikation schwierig - sagt man hier nämlich ganz harmlos "grüezi",
dann gehört man automatisch zu den "Grüezini" - denn "Grüezi" gibt es in diesem Dialekt gar nicht.
Wie man sonst sein Gegenüber begrüßt, habe ich leider nicht herausgefunden, aber vielleicht heißt die schöne autofreie
Stadt am Matterhorn aus nicht deshalb Zermatt, weil man vom vielen Zufußgehen abends so richtig "zermatt" ist,
sondern weil man sich den ganzen Tag den Kopf "zermattert", wie man hier ein Gespräch eröffnen soll.
Aber auch andere Begriffe können Verwirrung stiften. So gibt es hier die Bezeichnung Üsserschwiz, man freut sich,
zu glauben, endlich was verstanden zu haben: "aha: außerhalb der Schweiz" Aber wieder falsch, "Üsserschwiz" ist die Schweiz
außerhalb des Kantons Wallis, wobei ich nicht herausfinden konnte, ob es sprachlich im Walliserdeutschen überhaupt eine Welt
außerhalb der Schweiz gibt (z.B. so etwas wie "Üsser-Üsserschwiz"). Üsserschwizer wird im übrigen auch als Synonym
für "Grüezini" verwendet - ärgerlicherweise gibt es aber wiederum auch noch Bern - und Bern liegt außerhalb des Wallis,
ja sogar außerhalb des Höchstalemannischen, denn das Berner Mittelland ist "nur hochalemannisch", und trotzdem gibt es
im Berndeutsch (Bärndütsch) kein Grüezi - und die Berner werden deshalb als "Bäjini" bezeichnet,
und das haben die nun davon.
Und soll ich nun mathematische Aufgaben lösen wie "im Berner Oberland wird trotz "üsserschwiz" höchstalemannisch
gesprochen, im Berner Mittelland hochalemannisch, was wird dann im Emmental, das zum Berner Unterland gehört, nun gesprochen?
"Kxääsedütsch?" Nein, da kehre ich wohl lieber nach Zermatt zurück, denn ich merke, die Üsserschwiz ist noch weitaus
verwirrender als das Wallis und gehört ja eigentlich auch nicht zum Thema.
Die Stadt Zermatt lebt ja bekanntlich vom Tourismus. Das ist auch kein Wunder, denn die Luft und das Klima dort ist so
gesund, dass die Leute dort möglicherweise sehr alt werden können - nur wer versucht, einen Einheimischen zu verstehen,
sieht dabei alt aus. Sogar die deutsche Sprache hat sich dort so frisch gehalten wie nirgendwo sonst.
So würde sich der Verfasser der Merseburger Zaubersprüche - vielleicht auch der des Hildebrandliedes in der Nähe des
Matterhorns auch heute noch sauwohl fühlen, wenn auch in Walliserdeutsch das Schwein "Schwinggi" oder
"Gäschi" heißt. Aber vergleichen wir doch mal die Pluraldeklination des Tages - wenn es auch schon abends ist:
- Nom. Pl. Langsam wäärdunt di Taga länger. - Althochdeutsch: Taga
- Gen. Pl. Psinntsch di no der flottu Tago im letschtu Jaar? - Althochdeutsch: Tago
- Dat. Pl. Mit dene paar Tagu chan wäärli nix afa. - Althochdeutsch: Tagun
- Akk. Pl. Ich müess der leider fam Loo di paar Taga abzie. - Althochdeutsch: Taga
Zugegeben - Zermatter Zaubersprüche sind das nicht gerade- aber dafür ist das noch so richtige althochdeutsche Lautung -
mit voll erhaltenen Vokalen auch in unbetonten Silben!
"Summi" heißt übrigens "einige" - genau wie "suma" im 1. Merseburger Zauberspruch!
Aber Hinterwäldler von vorgestern zu sein - das lassen die Walliser natürlich nicht auf sich sitzen - zu Recht
halten sie uns Norddeutschen vor, dass wir nicht mal die normale hochdeutsche Lautverschiebung mitgemacht haben und
einfach "vertellen" statt "erzählen" und darum mal fein still sein sollten.
Nein, hier sind die Höchstallemannen unschlagbar und die Avantgarde der deutschen Sprache. Heißt es inkonsequenterweise
im Standarddeutschen "Kind" und im Hochallemannischen immerhin "Kchind", so sagen die Walliser radikal "Chind"
und machen hier Nägel mit Köpfen, sprich - ersetzen einen per se etwas dubiosen velaren Affrikat durch ein Frikativphonem.
Im Grunde ganz schön raffiniert - auf diese Art und Weise schaffen sie es im Ausland immer wieder sehr erfolgreich,
mit Holländern verwechselt zu werden, und ergötzen sich dann am Erstaunen der Irrenden. Und das, obwohl die
"Gereetschapskist" der niederländischen anlautenden stimmlosen velaren Reibelaute ganz andere Ursachen hat und das
Walliserdeutsch ebenso höchstdeutsch ist, wie das Holländische aus dem Mittelniederfränkischen hervorgegangen ist.
Womit bewiesen wäre, dass die Dinge außerhalb der Schweiz im Zusammenhang mit eben dieser zu mindestens ebenso
großer Verwirrung führen können wie der Unterschied des normalen schweizerischen "-li"-Diminutivs zum "-ji" der Walliser -
und ich habe bis heute nicht herausgefunden, welcher der beiden nun wirklich der kleinere ist.
Ich möchte zum Schluss kommen - vielleicht kann ja der eine oder andere auf meine Frage "Giz-där-schi?"
1) mit Ja
antworten - was ja nicht so ganz ohne Risiko ist, da sie kaum einer verstanden haben dürfte, ansonsten wünsche ich allen ein
herzliches "Auf Wiederluege" - falls dies nicht auch im Wallis unüblich ist.
1) Giz-där-schi?: Zusammensetzung aus "Gibt es sich dir?"
(Im Sinne von "Ist es bequem / fühlst Du dich wohl?")
Quellen
Wenn auch der Text eher humoristisch ist - die Fakten stimmen durchaus - zum Beleg seien folgende Quellen angegeben: