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Wie ich in Prag Gold machen wollte

Es mögen an die fünfunddreißig Jahre her sein, und ich war noch jung und hatte daher vollauf Muße und Zeit, all die Dummheiten zu begehen, deren Erinnerung mir jetzt das Alter verschönt, - da beschloß ich eines Tages, mich nicht nur wie bis dahin theoretisch, sondern praktisch mit Alchimie zu befassen. Den Anstoß gab ein sonderbares Erlebnis. Ein ehemaliger Schulkollege erzählte mir nämlich, daß sein Vater, der eine kleine Glasschmelzerei in der Nähe von Prag besaß, einen sonderbaren alten Chemiker, namens Kinski, kennengelernt hätte, der es verstände, durch Zusatz eines grauen, ungemein leichten Pulvers, gewöhnliches Glas in prachtvollstes Rubinglas zu verwandeln.

Damals war es üblich. Rubinglas durch Zuschmelzen von Dukatengold, was das Fabrikat natürlich ungemein verteuerte, herzustellen. Das neue Verfahren des Kinski bedeutete daher Reichtum über Reichtum. Die Schmelze des Herrn Sedmik - so hieß der Vater meines Freundes - lag in der Scharka, einem Talkessel in der Nähe Prags, der von grotesk zerrissenen Felsen abgeschlossen liegt, und trug, angeblich wegen des Pechs, das sie jedem Besitzer brachte, den Namen "Teufelsmühle". Dort lernte ich den Chemiker Kinski kennen.

Ich fuhr entsetzt zurück, als er mir entgegentrat. Hätte er so penetrant nach Schwefel gerochen, statt, wie es der Fall war, nach Fusel, so wäre kein Zweifel geblieben: das ist der leibhaftige Teufel. Er war über zwei Meter hoch und überragte mich noch um Kopfeslänge, trotz seiner sonderbaren, vorgeneigten Haltung: das Kinn ruhte so fest auf der scheußlichen schmalen - kaum zwei Hände breiten Brust, daß es schien, als sei es mit ihr verwachsen. Das unsagbar schmutzige Hemd stand offen, und die Haare der Brust und des Bartes waren zu einem gemeinsamen Filz ineinander verwirrt. Das Gesicht stand infolge der Kopfhaltung beinahe waagrecht, beständig der Erde zugekehrt und trug zwei Augen mit so seltsamem Blick, wie ich nie vorher oder später jemals welche gesehen habe:

sie waren völlig wimperlos, glänzend und dabei doch vollkommen leblos wie tiefschwarzes Glas. Die Kleidung und die Schuhe waren die eines Strolches, der monatelang in den Wäldern geschlafen hat; die Hosenbeine bis zur halben Wade zerfranst, der Rock schien ein ehemaliger Frack zu sein, dem man die Schöße abgeschnitten hatte. Die zahlreichen Risse wurden da und dort mit Bindfaden zusammengehalten und ließen die Blöße der Haut durchscheinen.

"Warum kauft denn dein Vater dem armen Kerl keinen Anzug", fragte ich meinen Freund halblaut, als wir hinter dem Vagabunden in das Innere der kleinen Fabrik gingen. "Er hat ihm nach und nach schon mehr als dreitausend Gulden gegeben, damit er sich neu kleide und auch sonst ein besserer Mensch würde", war die Antwort, "aber es ist alles vergebens; am nächsten Morgen, so oft man ihm Geld gibt, findet man ihn bewußtlos betrunken irgendwo im Freien, und es braucht Tage, bis er wieder zu sich kommt. Er lebt scheint's, nur von Schnaps, - essen sehen hat ihn noch kein Mensch."

- Und das soll ein Erfinder sein? fragte ich mich voll Zweifel. Ich wurde bald darauf eines Besseren belehrt. Herr Sedmik hatte in einem rotglühenden Steinkessel gewöhnliches Glas flüssig machen lassen. Eine furchtbare Hitze ging davon aus, so daß wir uns dem Bottich nur mit dicken Lederschürzen angetan und ebensolchen Masken vor dem Gesicht nähern konnten. Es war noch ein fremder Herr zugegen, angeblich Arzt, in Wirklichkeit ein Chemiker der technischen Hochschule, wie mein Freund mir verriet. Er sollte dem Experiment beiwohnen, durfte aber seinen Stand und Namen nicht verraten, da Kinski sonst mißtrauisch geworden wäre. Sedmik und er hatten vereinbart, die Erfindung gemeinsam zu verwerten, und Kinski versicherte stets, er werde immer genügend von dem grauen Pulver, das wenig koste, beisteuern, so daß die Herstellung des Rubinglases regelmäßig vor sich gehen könne. Aber immer, wenn ihm Sedmik Geld gab, war es am nächsten Morgen versoffen. Kinski entnahm nun einer kleinen Tüte eine Prise Pulver, etwa einen Fingerhut voll - und schüttete sie dem "Arzt" in die hohle Hand mit dem geknurrten Bemerken, er solle die Masse in ein Stück weiche Semmelschmolle kneten und sie in die Glut werfen. (Das sollte bewirken, daß das Pulver bei der immensen Hitze des geschmolzenen Glases nicht davonflog.) Als dies geschehen war, ergriff Kinski plötzlich die Hand des "Arztes", spuckte ohne Umstände darauf, wischte sie dann mit dem Ärmel ab; - er wollte offenbar in seinem grenzenlosen Mißtrauen verhüten, daß der Herr etwa später Spuren des Pulvers in seiner Hand chemisch analysiere.

- Wir verließen den Raum, Herr Sedmik sperrte ihn sorgfältig hinter sich ab. Am nächsten Morgen war die Masse erkaltet und in allerfeinstes Rubinglas verwandelt. Der Universitätstechniker erklärte, es sei unbegreiflich, wie ein solches erstklassiges Erzeugnis ohne reichlichen Zusatz von Dukatengold hatte zuwege gebracht werden können. -Das Ende der Geschichte ist schnell erzählt: die Teufelsmühle hat ihrem bösen Rufe alle Ehre gemacht, Herr Sedmik hat sein ganzes Vermögen verloren, hundert- und tausendguldenweise hat er es in den unheimlichen Vagabunden gesteckt, vertröstet von Woche zu Woche, dieser werde ihm das Geheimnis enthüllen oder wenigstens genügend Mengen des Pulvers liefern. Eines Morgens fand man Kinski erfroren auf einer Bank im Prager Stadtpark.

Das Erlebnis ging mir lange nicht aus dem Gedächtnis. Herr Sedmik versicherte mir, Kinski sei fraglos ein sehr gebildeter Mensch gewesen und studierter Chemiker; er sei im Laufe seines Lebens nur deshalb so heruntergekommen, weil er sich nicht zu einer geregelten Tätigkeit habe entschließen können, sondern lieber alchimistische Versuche gemacht habe, die den letzten Rest seines Geldes verschlangen. Auf meine Frage, ob denn Kinski gar nie eine Andeutung gemacht habe, woraus das Rubinglaspulver hergestellt sei, sagte Herr Sedmik, er sei aus den verworrenen Reden, die der Vagabund im halbtrunkenen Zustand hervorgeknurrt habe, nie klug geworden. "Gold ist Dreck", das sei sein ständiger Refrain gewesen, "Gold ist Dreck, ihr alle sagt es doch täglich, aber wörtlich nehmt ihr's nicht, ihr Schafsköpfe."

Bisweilen, so erfuhr ich, hätte Kinski etwas zusammengefaselt, von einem gewissen Farbenwechsel, von Schwarz, Pfauenfederglanz und Schneeweiß. Den eigentlichen Urstoff jedoch hätte er stets geheim gehalten. Ich horchte auf. Farbenwechsel? So steht es ja wörtlich in fast allen mittelalterlichen alchimistischen Büchern. Auch dort wird der Urstoff verborgen, als handle es sich um ein tödliches Geheimnis.

Der Zufall geht seltsame Wege. Ich hatte von da an nächtelang über meiner alchimistischen Bibliothek, die ich im Laufe der Zeit wahllos zusammengekauft hatte, gesessen und mir die Augen wund gelesen, welchen Urstoff die alten "Weisen" denn um Himmels willen gemeint haben könnten. Worauf ich auch riet: es stand als Irrtum verzeichnet in des Herzogs von Trevisan modrigen Schwarten. Da schickte mir eines Tages ein Antiquar ein altes Buch, verfaßt von dem mittelalterlichen Grafen de Marsciano. Ich blätterte darin, und mit einem Mal wußte ich - jawohl, ich wußte-was unter dem Urstoff zu verstehen war: menschliche oder tierische Exkremente!

Dreck also, wie der selige Kinski treffend sagte. Dann kam allerdings ein Nachsatz in dem Buch, der mich wieder völlig verwirrte: "Unsere Materia ist gelb wie Butter, riecht himmlisch und schmeckt süß wie Manna." Wutentbrannt warf ich das Buch in die Ecke und bedauerte aus Herzensgrund, daß sich der italienische Adept bereits durch den Tod einer Auseinandersetzung mit mir entzogen hatte. Als ich das Buch dann wieder hervorholte, sah ich, es war unvollständig; ein zweiter Band fehlte. Ich schrieb an alle möglichen Antiquare.

Vergebens, niemand kannte es. Da stellte sich ein geradezu unglaublicher Zufall ein: ein Bücherauktionskatalog aus Mailand fiel mir in die Hände; ich schlug ihn mechanisch auf und las: Onuphrius Marsciano, zweiter Band. Ich depeschierte nach Mailand: Kaufen um jeden Preis. Einige Tage später hielt ich das Kleinod in der Hand - um wenige Lire erstanden -, verschlang es wie weiland der Walfisch Jonas.

Das Merkwürdigste war, der Band trug dasselbe Exlibris innen auf dem Buchdeckel wie mein erster, - beide Bände waren also vor Jahrhunderten Eigentum ein und desselben Besitzers gewesen. Wäre ich abergläubisch, ich könnte fast glauben, der alte Kinski hätte es mir in die Hand gespielt.

Was ich aus dem Marsciano nach und nach herauslas, war: Tierische Exkremente verwandeln sich bisweilen nach langer Zeit in der Erde in einen Stoff, der der Beschreibung entspricht; buttergelb, wohlriechend, mannasüß usw. So oft ich von da an einen Lehrer oder Studenten der Chemie auf der Gasse oder im Kaffeehaus traf, immer lenkte ich das Gespräch so, daß ich schließlich - unauffällig, wie ich mir einbildete - die Frage anbringen konnte: Sagen Sie, Herr Doktor, ist es möglich, daß sich Fäkalien in der Erde allmählich in eine süß schmeckende Substanz verwandeln können? Dabei passierte mir eines Tages das Mißgeschick, daß ich einen Couleurstudenten ein zweites Mal danach fragte. Er biß wortlos die Zähne zusammen, verlieh seinem Blick etwas unhöflich Stechendes und drehte sich rasch auf dem Absatz um und schickte mir sodann zwei Sekundanten ins Haus. Ich beschloß daraufhin, mich nur noch mit einfachen Leuten aus dem Volk über dieses Problem zu verständigen, die weniger leicht gekränkt sind und keinen Sinn für Duelle haben. Auch hier zeigte der Zufall Verständnis für meine Seelenqualen. Eines Nachts ging ich zu später Stunde heim von einem Ruderklubfest, angetan mit weißen Flanellhosen und blauem Rock, die Athletenbrust mit zahlreichen Regatta-Orden geschmückt, die im Mondschein blitzten. Die Hauptstraße Prags war aufgerissen und schauderhafte Dünste entwirbelten dem Schoß der Mutter Erde, denn es galt, uralte Kloaken dem Schlummer der Vergangenheit zu entreißen. Angeeifert durch diese günstige Gelegenheit, erklomm ich einen Wall und rief in die gähnende Tiefe hinab: "Ahoi!" Totenstille verdrängte das bis dahin herrschende schlapfende Geräusch einer Pumpe, und alsbald entstieg dem Abgrund der König der Nacht, an der Stirn eine kleine Lampe, wie die Fische der Tiefsee sie tragen. Ich neigte leicht das Haupt, spießte eine Guldennote über die Zwinge meines Spazierstocks und reichte sie dem König, worauf sich folgender Dialog entspann: Ich: "Haben Euer Penetranz jemals in dero Leben auf dem Felde Eurer Tätigkeit einen Stoff bemerkt, der buttergelb, wohlriechend und süß von Geschmack ist?" Der König der Nacht: "Keinen Stoff nicht, aber einen Dreck. Kommt aber nurr sähr selten vor. Eine Kuriosität. Wenn man darauf Obacht gibt, kann man ihn schon finden. Natierlich ja, ich weiß jetzt schon, was der Herr General wollen: er bringt Glück, sagt man." Ich: "Trefflich! Bringen Sie mir. Verehrtester, so bald und so viel wie möglich. Sie bekommen ein fürstliches Trinkgeld. Hier meine Adresse auf der Karte."

Monate waren vergangen, und Sommerhauch lag duftend über der Stadt, denn damals gabs noch keine Automobile. Ich saß in meinem Büro und hielt gerade Cercle mit einigen vornehmen und schönen Damen, da ging mit einemmal leise die Tür auf, und herein trat strahlendtreuherzigen Auges, mit der einen Hand den Silberbart streichend, in der anderen einen funkelnden Kupferkübel mit Dreck, ein Greis. Seine Züge kamen mir bekannt vor, trotzdem ich die Vermutung nicht loswerden konnte: es ist eine Sagengestalt aus dem griechischen Altertum, die an unserem tugendhaften Beisammensein teilzunehmen wünscht, indem sie als Vision in der Mittagshitze pangleich sich einstellt. Da der Greis jedoch sofort in eine tschechische Ansprache an mich ausbrach, verwarf ich meine Annahme und erhob mich geschmeichelt, zumal ich kein Wort verstand. Mit einer graziösen Handbewegung stellte der Ehrwürdige den Kübel auf einen Sessel, wobei die Damen sich lorgnettierend gestielten Auges verbeugten.

Triumpf in der Miene, entfernte der Silberbart den Deckel der Urne.

Alles andere spielte sich mit Filmgeschwindigkeit vor meinen Augen ab. Eine Herde flüchtiger Antilopen hätte beim Anblick eines brüllenden Löwen nicht eiliger das Weite suchen können als meine holden Gastinnen. Wortlos stand ich, von herzzerbrechenden Geständnissen umwogt, dem furchtbaren Alten gegenüber, bis er das Schweigen brach: "Ich hab mich lang nicht hertraut, aber weil grad ein so schener Tag is - da schauns, Herr General, einen kopfgroßen Batzen! Ich hab ihn nicht erseht putzt, damit gnä Herr sehn, er ist acht..."

Was soll ich weiter viel erzählen? Die alten Alchimisten behaupten fast übereinstimmend, der Prozeß der Elixierbereitung sei behütet von finsteren Mächten der Unterwelt und führe namenloses Unheil im Gefolge. Armut, unheilbare Krankheit, gewaltsamen Tod, - falls es überhaupt gelänge, die Glaskolben, in denen der Urstoff bei langsamer Wärme verwandelt wird, vor dem Zerplatzen zu bewahren. Tatsache ist: ich habe den Urstoff vorschriftsmäßig durch Wochen konstant erwärmt. Tatsache ist: zu meinem und des chemischen Beraters höchstem Erstaunen stellten sich auch die erwähnten unerklärlich schönen Farbveränderungen bis zum Pfauenglanz ein.

Tatsache ist: als ich eines Tages vor der Retorte stand, zerplatzte diese mit lautem Knallen und der "Stoff" flog mir ins Gesicht. Ich wiederholte das Experiment ein zweites Mal, aber diesmal mit offenem Glaskolben.

Das Farbenspiel blieb bei der ersten Schwärze stehen. Vollkommen unbegreiflich bleibt mir, warum auch der Kolben explodierte, trotzdem der Hals ja nicht verschlossen war und sich keine Ammoniakgase ansammeln konnten - und noch dazu genau in dem Augenblick, als ich zufällig davorstand.

Tatsache ist: als ich ein drittes Mal den Versuch wiederholen wollte, wurde ich von einer gräßlichen Krankheit befallen, die als unheilbar gilt und erst nach vielen Jahren langsam wich. Seitdem halte ich mich fern von praktischer Alchimie.