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Online-Quelle: scribd.com

Unermesslich reich

Ein phantastischer Monolog

"Es kann nur der Abendschein der Sonne sein, der durch die Ritzen der Kalkblöcke und das blinde Notfenster der steinernen Zyklopenhütte, darin ich auf meiner Schütte aus knisterndem Stroh ruhend liege, hereinfließt und die schräge Wand ober mir und meine Hände und die Flächen des morschen Holztisches und der roh gezimmerten Bank mit leuchtendem Blut überrieselt" - so sage ich mir vor, wieder und immer wieder, mit unwillkürlichem Flüstern meiner Lippen, denn ich muss mich wehren mit aller Kraft gegen die Vorstellung, es könne ein Erinnerungsbild wirklichen Blutes sein, das ich da mit leiblichen Augen zu sehen vermeine. Noch während ich den Gedanken wälze, überfällt mich kalt der Schrecken: "Es kann nicht das Abendrot sein, das Rot schwebt im Raum seit vielen Stunden; die Sonne muss längst versunken sein!"

Und ein zweiter Schrecken löst den ersten ab: "Dann schläfst du also irgendwo und weißt es nicht, und in der Hütte schwingen Finsternis und scheintote Nacht! Nein, nein, das darf nicht sein!" schreie ich mich an so laut, dass mir wird, als hätte es eine fremde Stimme tief unten aus der Mazochaschlucht des Bergbruchs emporgeheult zu der Steinhütte auf dem Gipfel - "nein, nein, nein, das darf nicht sein! Dann wäre alles nur Fiebertraum, und eine andere Gegenwart wäre zur Wirklichkeit geworden, und ich besäße den Smaragd nicht mehr: er war' zum Scheingebild zerronnen, wie der Alte immer sang und erzählte, wenn er von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zog und die uralte Volksmär vortrug und dabei mit seinem Stab auf die bunten Bilder auf seiner Leinwandtafel wies." - Und ich fahre mit meinen zu Tod erschreckten Händen unter die Bettstatt und ziehe den kleinen Leierkasten hervor und hole aus seinem Innern das Lumpenbündel heraus, darein der faustgroße Smaragd gewickelt ist, und betaste seine kalten, scharfen Kanten mit der heißen Freude, unermesslich reich zu sein.

"Unermesslich reich!" Ich entzücke mich an den Worten, und sie entzünden mein Herz mehr, als es der Anblick des entblößten grünen Steins jemals vermöchte. So lasse ich das Bündel, wie es ist, und schiebe es wieder zurück in das Kästchen. Und wie ich die abgegriffene Kurbel drehe, höre ich ihn darin zirpen, den Stein, den Stein. Noch ehe ich den kleinen Leierkasten wieder unter die Bettlade rücken kann, meckern draußen die beiden wilden Ziegen, von denen die abergläubischen Leute unten im Dorfe raunen, sie seien Teufel, die den Smaragd behüten, und plötzlich drosselt mich die Angst, der Alte träte herein mit seinem weißen verwilderten Knebelbart, um mich zu würgen, dass ich ihm seinen Stein wiedergäbe. Aber ich reiße mich los von seinem schwachen Griff. Schlage ihm mit meinem Mineralienhammer den kahlen Schädel ein. Ziehe ihm sein Bergknappengewand aus, schleppe ihn hinaus und werfe ihn über die weißen Kalkschroffen in den Abgrund, wie ich es wohl hundertmal schon getan habe im Fieber. Starre ihm nach, wie er schwarz, einem Geierschatten gleich, im grünlichen Mondlicht hinab in die furchtbare Tiefe stößt.

Grünes Mondlicht liegt auch im Hüttenraum, auf den Flächen des Tisches, der Bank, der Wand und auf meinen Händen. Sein nasser Schein färbt die grell gemalten Figuren und Dämonenfratzen auf der Jahrmarktszeigetafel drüben an der Mauer gegenüber meiner Lagerstätte fahl wie Leichenschimmer. "War nicht soeben noch Abendsonnenschein? War es also doch Blut?!" frage ich mich. "Oder kommt so rasch die Nacht, wenn man - ein - ein ein Reicher ist?" - Ich fasse rasch unter die Bettlade nach dem Schatz; nur so - weiß ich - kann ich die schwankende Gegenwart festhalten und mit ihr die Gewissheit unermesslichen Besitzes. - "Ich darf nie mehr schlafen" - nehme ich mir vor - will immer wach sein und beständig wissen: ich bin reich. Gern nehme ich dafür in Kauf die dauernde Kälte des Fiebers und die Wiederkehr des Gespenstes. Ich will nichts anderes mehr wissen, als: ich bin unermeßlich reich. Ich will vergessen, wer ich früher war und wie ich im Leben hieß. Sollen sie daheim glauben, ich sei verschollen. Habe ich doch selbst schon fast vergessen, wer ich früher war. Ich will durchs Land ziehen wie er, der Alte, früher von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zog, wenn die Herbstzeit kommt. Welche Lust muss es sein, mit dem Leierkasten und der Bildertafel umherzuwandern und Bettelmünzen einzusammeln, gekleidet in sein verschlissenes Bergknappengewand aus grünem Felbel, mit der Grubenmütze,den goldgelben Litzen und dem zerzausten Federbusch, und dabei innerlich zu frohlokken: ich bin reich, unermesslich reich, und ich könnte alle eure Dörfer kaufen, wenn ich wollte, und ihr schenkt mir Bettelgeld und glaubt, ich sei arm. Wenn sie mich sehen, werden sie glauben, ich sei er; trage ich doch einen weißen Knebelbart, wie er einst im Leben, und sehe ich ihm doch so ähnlich, dass ich erschrak, als ich ihm das erstemal begegnete und glaubte, meinen Doppelgänger vor mir zu haben. Denn werde ich ihnen die alte gruselige Mär erzählen von dem großen Smaragd von Blansko - und dabei mit dem Stab auf die blutrünstigen Bilder zeigen auf der Leinwand - die Mär, wie vor vielen Jahrhunderten ein Bergknappe den Stein fand im Kalkbruch der Mazochafeisen und ihn den Geistern entriss, die darum kämpften - Dämonen der Luft, winzig und mit Messern bewaffnet die einen, die ändern haarige Teufel mit Mörderhänden und Hörnern wie wilde Ziegen. Und wie sich ein Wirbelsturm dabei erhob - ein Wirbelsturm nicht fühlbar den äußeren Sinnen der Menschen, aber ein Wirbelsturm einer ändern Welt, der so sich kundgibt wie das maßlose Entsetzen im Blut in unserer Welt vor etwas Unbegreiflichem. Ein Sturm, bei dem Abendrot sich wandelt in grünes Vollmondlicht und die Luft gerinnt, bei dem das Barometer fällt und fällt wie vor Taifun und dennoch, trotzdem Baumriesen knicken wie Halme, kein Hauch im Raum sich regt. Und wie der Bergknappe dabei den Verstand verlor so vollständig, dass er darüber vergaß, dass es einen Tod gibt, und deshalb nicht sterben kann und jeden Herbst von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zieht und sagt, er sei bettelarm und dennoch reich ist wie ein Gott, da er den Smaragd in seinem Leierkasten trägt. - Dann werden die abergläubischen Bauern sich bekreuzigen und im Wirtshaus in der Trunkenheit die alte Sage fortspinnen, wie es seit Generationen geschieht, dass wohl ein Bergknappengewand Jahrhunderte lang umherzöge, aber es sei nur ein leeres Kleid. Der, der darin stäke, habe es geerbt von seinem Vorgänger - sowie auch den Teufelssmaragd - immer durch Mord: Der Träger werde auf seiner Wanderung durch Erdenleben allmählich selber wie ein toter Stein; dünke sich reich und müsse doch betteln gehen, bis die Gier nach dem Stein zu schwinden beginne und die Sehnsucht nach der Ruhe im Grabe ihm im Herzen erwache. Da sei dann die Zeit nahe, dass ein neuer komme und den Mord sühne, indem wiederum er den alten Träger des Gewandes erschlage und seine Leiche nachts über die schroffen Felsen der Mazocha in die tiefen abgründigen Weiher hinabwerfe, unten im Grunde des Bergbruchs, und im Bergknappenkleid als Besitzer des Steins bettelnd von Jahrmarkt zu Jahrmarkt ziehe.

Ich muss wild lachen, wenn ich mir die alte Sage vergegenwärtige, die ich so oft von Bergleuten gehört habe, wenn ich alter Mineraliensucher durch die düsteren Lande streife.

Wie oft werde ich sie noch zu hören bekommen! Welche Narretei, zu glauben, das Glücksgefühl könnte jemals sterben, das ich in mir trage: ich bin reich, unermesslich reich! Und wie seltsam, dass jeder die Sage kennt und sie erzählt und sie dabei innerlich doch nicht glaubt!

Ein Glück, dass sie heimlich nicht daran glauben! Wie leicht könnte es sonst geschehen, dass einmal einer den wunderbaren Smaragd in dem kleinen Leierkasten vermutete und mir nachginge und mich erschlüge, wie ich den...

Warum heulen unten im Dorf die Hunde so laut? Höre ich es jetzt erst, weil die Nacht so still ist? Oder heulen die Glocken weit drüben in den Eisenhütten von Blansko? Kommt Sturm? Ist es der Wirbelsturm, von dem sie sagen, er rase nur im Blut? Es wird kalt. Es ist nicht; es ist nur das Fieber, das eiskalte Fieber, das mich immer packt, wenn ein falsches Gefühl mir vorlügt, der Alte stehe draußen vor der Hütte, nackt, und friere, und sein Kälteschauer ginge auf mich über. Ich würde mich entsetzen, wenn ich nicht wüsste: ich bin reich, unermesslich - reich!